Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

Hinweise

Wenn Sie meinen Weblog zum ersten Mal besuchen, bitte ich Sie, auch die Texte unter Hinweise zu lesen.

Vielen Dank für Ihren Besuch

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Das Streben nach Angst
Seit Jahren gibt es eine Weisheit unter Werbestrategen:...
sarah.tegtmeier - 5. Apr, 22:47
Sinkflug
Er verlässt seinen Platz, seinen Arbeitsplatz, ohne...
sarah.tegtmeier - 7. Mai, 22:24
Liebe Sarah, manche Passagen...
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Wally (Gast) - 9. Mär, 13:12
Ohne Zweifel von außen,
auch ohne Selbstzweifel wird man nicht besser, oder? Vielleicht...
HARFIM - 2. Mär, 00:10
Schreibheimat
Gestern kam die neue Ausgabe der TextArt. Auch wenn...
sarah.tegtmeier - 1. Mär, 22:25

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29
Jan
2008

Sehr geehrter Herr Koch

die letzten Tag waren sicher nicht einfach für Sie. Wie muss sich jemand wie Sie grämen, wenn Ihr visionäres Programm zur Bekämpfung der Jugendkriminalität und zur Ausländerintegration so gänzlich missverstanden und vom dummen Wahlvolk mit einem so schmachvollen Wahlergebnis abgestraft wird. Endlich sprach einmal jemand offen und unerschrocken aus: Ja, wir haben in Deutschland ein Problem mit der Jugendkriminalität! ja, wir haben uns zu lange nicht um die Jugend unserer Mitbebürger mit Migrationshintergrund gekümmert! Nur jemand wie Sie, ein Mann von unantastbarer moralischer Integrität und Autorität, konnte dem deutschen Volke so den Spiegel vorhalten, so dass wir beim Anblick unserer von wirtschaftlichem Wohlstand aufgedunsenen Gesichter erkennen und eingestehen müssen: Wir haben versagt!

Wenn ich mit Bosko, meinem Leibwächter, durch die Straßen von Frankfurt schlendere, begegne ich tagtäglich Horden junger Türken, Iraner, Afghanen. Sie gehen nicht zur Schule, lungern auf den Straßen herum, pöbeln die Spaziergänger an. Einige tragen viel zu weite Hosen, Goldkettchen, manche rappen sogar, scheren sich nicht darum, dass sie damit ihre Mitmenschen belästigen. Einige wenige erkennen mich und zollen mir den nötigen Respekt, die meisten gehen lachend an mir vorbei, verspotten mich sogar.

„Bosko!“, sage ich dann zu meinem Begleiter. „Um die Jugend müssen wir uns kümmern. Diese Jungs sind unser Kapital, unsere Zukunft, in die müssen wir investieren.“

„Sie haben so Recht, mein Pate“, stimmt mir Bosko immer zu. „Aber was sollen wir machen? Wir haben unsere Organisation aufgebaut. Wir wären bereit die Kerle auszubilden. Aber wir kommen ja nicht an die jungen Talente heran. Die eifrigsten werden uns vorenthalten und in blödsinnige Resozialisierungsprogramme gesteckt. Das verdirbt die Jungs fürs Leben.“

Wie recht er hat, mein guter Bosko. Wie oft schon haben wir das in der Ortsgruppe unserer Organisation besprochen. Nächte haben wir damit zugebracht, eine Strategie zu entwickeln, wie wir unseren Nachwuchs rekrutieren können. Denn eines seien Sie versichert: Der Fachkräftemangel grassiert auch bei uns. Aber diese Sozialarbeiter waren bisher immer schneller.

Ein Aufschrei der Erleichterung ging durch unsere Organisation als Sie, Herr Koch, wesentliche Punkte Ihres Wahlprogrammes vorstellten: Frühzeitige, konsequente und dauerhafte Einweisung der in Frage kommenden Jugendlichen in unsere Ausbildungszentren. Alle aus meiner Organisation stimmen Ihnen da zu: Nur so können wir den jungen Männern eine Perspektive bieten, nur so können sie das Potential, das in ihnen steckt entwickeln und schließlich den Platz in meiner Or ... pardon ... in unserer Gesellschaft einnehmen, für den sie geboren wurden. Und dann auch noch Ihr geradezu genialer Vorschlag eines zweiwöchigen Praktikums in einem unserer Ausbildungsbetriebe. Seien Sie versichert: Wir werden diese zwei Wochen nutzen, um geeignete Kandidaten auszuwählen und sie mit allen nötigen Information versorgen, wie sie sich auf einen Ausbildungsplatz in unseren Betrieben bewerben können.

Seien Sie standhaft, Her Koch, geben Sie nicht auf. Sie haben am vergangenen Sonntag, trotz heftigsten Gegenwindes aus linken Kreisen der Gesellschaft, einen grandiosen Wahlsieg errungen. Ihr Konzept weist in die richtige Richtung, kämpfen Sie weiter für seine Realisierung. Meine Organisation wird Sie mit allen dafür notwendigen Mittel unterstützen! Sollten Sie unterliegen, sollten Sie gar ins politische Abseits gestellt werden, wenden Sie sich an mich! Für Leute von Ihrem Format habe ich in meiner Orgarnisation immer reizvolle Aufgaben.

Hochachtungsvoll

Don Corleone

(stellvertrender Ortsgruppenleiter der Organisierten in Frankfurt)

28
Jan
2008

Das letzte Frühstück

"Nein, pfui, Max! Das ist nichts für dich"

Der Kater buckelte, als Karin Hofmann ihn von dem Frühstück wegschubste, das sie für ihren Vater bereitete.

"Karin!" Die Stimme ihres Vaters gellte aus dem ersten Stock. "Wo bleibt mein Frühstück?"

Sie blickte unschlüssig auf die Phiole, in die sie den Sud aus Hundspetersilie, geflecktem Schierling und Samen des Wunderbaums gefüllt hatte. Ihre Hand zitterte, als sie den Deckel der Phiole aufschraubte. Sie mochte den Geruch des Giftes: so roch Freiheit.

"Karin!"

Ihr Vater hatte sich nie für sie interessiert; seit er wegen des Schlaganfalls das Bett allein nicht mehr verlassen konnte, ließ er seinen Groll an ihr ab: Es reichte. Später erinnerte sie sich nicht mehr, wie sie das Gift in Saft und Kaffee gegossen hatte, nur an den letzten Tropfen, der sich zögernd vom Rand der Phiole gelöst hatte und glitzernd auf das Rührei gefallen war, erinnerte sie sich später und daran, dass sie auf der Treppe fast über Max gestolpert wäre.

"Wurde aber auch Zeit", knurrte ihr Vater, als sie das Tabelett auf den Nachtschrank stellte. "Soll ich auch noch hungern, reicht es nicht schon, dass ich nicht mehr allein laufen kann?"

"Nein, Vater, ich ..."

"Willste mir jetzt etwa auch noch zu gucken? Oder mich vielleicht sogar füttern?" Er schwang die Hand, in der er das Glas hielt. Orangensaft tropfte auf die Bettdecke. "Verschwinde! Und nimm deinen stinkenden Kater mit!"

Während Karin das Zimmer verließ, leerte der Vater das Glas in einem Zug. Nun würde es geschehen. Wie lange würde es dauern, bis das Gift wirkte? Sie ging hinunter in die Küche und setzte sich an den Tisch. Max sprang auf ihren Schoss und ließ sich von ihr kraulen.

"Karin! Uh! ... Mir ist ... Hilf mir, Karin!"

Sie presste die Hände auf die Ohren, starrte aus dem Fenster und beobachtete wie die Sonne empor stieg. Erst als sie aus dem Ausblick herausgewandert war, wagte Karin es, die Hände sinken zu lassen. Was für eine wunderbare Stille.

"Max!" Der Kater kletterte auf den Tisch und rieb sein Köpfchen an ihrer Wange. "Wir sind frei! Hörst du?"

Am liebsten wäre sie durchs Haus getanzt, aber ihre Freude dauert nicht lang. Schlagartig wurde ihr bewusst, was sie getan hatte, dass sie eine Geschichte brauchte, um zu erklären, wie ihr Vater gestorben war, und dass sie die Spuren beseitigen musste. Sie wollte gerade aus der Küche gehen, als jemand gegen das Fenster klopfte. Sie zuckte zusammen und erkannte den Arzt ihres Vaters erst nicht. Er gab ihr Zeichen, dass er zur Haustür gehe.

Fieberhaft überlegte sie, was sie dem Arzt erzählen sollte.

"Guten Morgen, Herr Dr. Kutzner! Ich bin so froh, dass Sie zufällig kommen" Ihr fiel nichts Besseres ein, als die besorgte Tochter zu spielen. "Mein Vater hatte heute Morgen Schmerzen in der Brust. Ich wollte Sie deswegen anrufen. Aber Sie wissen ja, wie er ist."

"Guten Morgen, Frau Hofmann! Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob ich meinen Hut bei Ihnen vergessen habe." Dr. Kutzner trat ein. "Aber wo ich schon da bin, kann ich ja mal mit Ihrem Vater sprechen."

Als Karin den Arzt zum Schlafzimmer ihres Vaters führte, begann sie zu schwitzen. Sie fürchtete sich vor dem Anblick, der sie erwartete; hoffentlich schöpfte der Arzt keinen Verdacht.

"Vater!"

Sie erschrak, als sie die Leiche ihres Vater sah. Ein Arm hing schlaff an der Bettkante herunter. Erbrochenes quoll aus seinem Mund. Die Augen blickten zur Ecke.

Dr. Kutzner drängte sich an ihr vorbei. Er tastete nach dem den Puls des Toten und befühlte die Stirn.

"Es tut mir Leid, Frau Hoffmann" Dr. Kutzner ging auf Karin zu und nahm ihre Hände. "Ihr Vater ist tot."

"Tod? Nein, das kann doch gar nicht sein. Vorhin habe ich ihm doch noch das Frühstück gebracht."

Karin spürte, dass sie ihrem Gesicht nicht den richtigen Ausdruck geben konnte. Sie drehte sich vom Bett fort, lehnte die Stirn gegen die Wand.

"Ja, es sind wirklich seltsame Umstände" Dr. Kutzner legte eine Hand auf ihre Schulter. "Irgendwas stimmt hier nicht."

"Wie meinen Sie das?" Karins Puls hämmerte in ihrem Hals.

"Frau Hoffmann", Dr. Kutzner sah sie finster an. "Sie müssen mir genau erzählen, wie ihr Vater sich heute Morgen gefühlt hat."

"Als ich ihm das Frühstück brachte, sagte er, ihm sei schwindlig und er habe ein Stechen in der Brust, das Atmen strenge ihn an."

"Es fällt mir schwer Ihnen das zu glauben. Als ich Ihren Vater das letzte Mal untersuchte, waren sein Herz und seine Lungen in Ordnung." Der Arzt zeigt auf den Toten. "Die Merkmale an seinem Körper deuten daraufhin, dass er sich erst übergeben hat und dann erstickt ist. Das sieht mir nicht nach einem natürlichen Tod aus."

"Ich versteh nicht, was Sie damit andeuten wollen" Jetzt nur nicht die Nerven verlieren; was hatte er schon in Hand.

"Sie verstehen sehr gut. Glauben Sie etwa, ich hätte nicht bemerkt, wie das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater war." Dr. Kutzner zog ein Handy aus einer Hosentasche. "Ich muss die Polizei rufen."

"Was?" Karin schüttelte den Kopf "Wollen Sie damit etwa andeuten ..."

"Ich will gar nichts andeuten." Er tippte eine Nummer in das Telefon und sah sie mit düsteren Augen an.

Obwohl es ihr schwer fiel, zwang sie sich seinem Blick nicht auszuweichen. Wenn sie jetzt die Augen abwandte, wäre das so gut wie ein Geständnis. Sie musste die verwirrte Tochter spielen, die angesichts des plötzlichen Todes ihres Vaters den Vorwurf des Arzt nicht verstand.

"So, ja, also."

Ihr wurde übel. In ihrem Blick schmolzen die Gestalt des Arzt und die Leiche zu einem zerfransendem Fleck. Was war das für ein Klecks auf dem Nachtschrank. Sie rieb sich die Augen

"Nein", flüsterte sie, als sie begriff, dass der Kater sich über die Reste des Frühstücks hermachte. "Nein, Max, nein! Das darfst du nicht fressen!"

Sie packte Max und versuchte die letzten Bissen aus seinem Mund zu klauben. Der Kater fauchte, hieb mit den Krallen nach Karins Händen, weshalb sie ihren Griff löste. Der Kater flüchtete aus dem Zimmer.

"Herr Dr. Kutzner!" Sie wollte dem Kater folgen. "Er muss alles wieder ausspucken."

"Weshalb?" Der Arzt stellte sich ihr in den Weg.

"Er wird sterben, er darf nicht sterben!", kreischte Karin hysterisch. "Bitte, helfen Sie mir, wir müssen ihn finden. Haben Sie nicht ein Abführmittel oder so was?"

"Was ist mit dem Frühstück?" Dr. Kutzner packte Karin bei den Schulter. "Was haben Sie damit gemacht? Haben Sie Gift hineingetan?"

"Ja, ja!", seufzte Karin und sank auf die Knie. "Bitte, Dr. Kutzner, sie müssen Max finden. Er darf nicht sterben, nicht er, das wollte ich nicht."

27
Jan
2008

Nutte

„Na, los nun fahr schon! Grüner wird’s nicht!“

Martha haute die Faust auf die Hupe. Der rote Polo machte einen Satz nach, dann blieb er wieder stehen.

„So Idiot! So ein Sonntagsfahrer! Kann noch nicht an einer Ampel anfahren!“

Sie blickte über die Schulter, suchte im Verkehr nach einer Lücke. Endlich fand sie eine, sie scherte aus der rechten Spur aus, um den Wagen vor ihr zu überholen. Gerade als sie Gas geben wollte, sprang die Ampel am auf rot.

„Scheiße!“

Im Rückspielgel sah, wie die Fahrerin des Polo immer noch mit dem Anlasser kämpfte. So wie die aussieht hat die ihren Führerschein vor über 40 Jahren gemacht. Das die überhaupt noch fahren darf.

Martha drehte die Lautstärke des CD-Players hoch. Sie stand mit ihrem Wagen in der ersten Reihe an der Ampel. Ein älterer Herr humpelte über die Straße, er trug zwei aufgerissene Plastiktüten, aus denen Bierflaschen herausragten. Martha beobachtete den Mann, vor dem Bordstein bliebstehen, trat zwei Mal auf der Stelle, bevor einen Fuss hob zum Schritt hob. Genau in dem Moment als er an der Eckbar vorüber humpelte, öffnete sich die Tür. Die Fenster der Bar waren mit schwarzer Folie zugeklebt. Auf einer Scheibe posierte das Bild einer Frau, die nur mit Slip und BH bekleidet, sie stemmte die Hände in die Hüften, hielt den Kopf schief und blickte verführerisch auf die Passanten.

Was müssen das für Männer sein, dachte Martha, die in solche Bars gehen, und was für Frauen arbeiten dort?

Ein Arm streckte sich aus dem Spalte, die Finger gespreizt, die Handfläche nach oben, als prüfe jemand, ob es regne. Die Hand wurde zurückgezogen. Eine Frau trat aus der Bar auf den Gehsteig. Sie löste das Band, das die schwarzen Haare zusammenhielt, legte den Kopf in den Nacken, fuhr mit Finger durch die Strähnen, schwarze glänzende Strähnen, die bis zu den Kniekehlen flossen, dunkles Wasser, das aus einer Quelle sprudelt. Ein Koreanerin oder eine Japanerin. Die Frau blickte nach beiden Seiten, während sie ihre Strickjacke zuknöpfte, sonst trug sie nur eine hautenge Jeans und Espandrillos, kein Schmuck, sie war ungeschminkt, drehte den Kopf zur Straße und auf einmal trafen sich ihre Blicke.

Obwohl die Musik noch immer aus den Lautsprecher dröhnte, schien es viel stiller im Wagen zu werden. Martha nahm eine Hand vom Lenkrad. Die Frau an der Straße, legte den Kopf zur Seite, hob die Mundwinkel zu einem Lächeln, dann eine Hand, zupfte mit den Finger einen Gruß aus der Luft, der wie eine unsichtbare Feder über den Gehsteig schwebte. Martha winkte schüchtern.

Dann hörte sie das Hupen der Wagen hinter ihr. Der rote Polo fuhr an ihr vorbei. Die Fahrerin zeigte Martha einen Vogel. Der alte Mann mit den Plastiktüten verschwand in einer Seitengasse. Martha trat auf die Kupplung, würgte beinah den Motor ab und schaffte es gerade noch bei gelb über die Kreuzung. Sie sah mehr in den Rückspiegel als nach vorn.

23
Jan
2008

Disziplin!

In meinem Esszimmer steht seit meinem Einzug eine Pflanze, die ich von einer Freundin als Dauerleihgabe bekam. Aus einem Topf ragen zwei dünne Stängel ungefähr anderthalb Meter in die Höhe. An der Spitzen strecken sich palmenblattartige Blätte auseinander. Wie die Pflanze heißt weiß ich nicht. Ich bin in Botanik nicht sehr bewandert.

Wenn die Pflanze ein Bewusstheit hätte, würde sie den Tag, an dem ich sie bekam, als den schlimmsten Unglückstag in ihrem Leben bezeichnen und mich auf jede nur denkbare Weise verfluchen. Anfangs habe ich sie noch einigermaßen regelmäßig gegossen, aber dann begann ich sie zu vernachlässigen. Im letzten Jahr gönnte ich ihr irgendwann im Juli das letzte Mal ein paar Tropfen Wasser. Dementsprechend sieht sie heute aus. Dass sie nicht schon längst alle Blätter abgeworfen und noch immer etliche halbgrüne Wedel hat, wundert mich. Wenn ich letztes Jahr meine Wohnung sauber machte, kehrte ich jedes Mal eine Handvoll ihrer Blätter zusammen.

Jede meiner bisherigen Wohnungen war für Pflanzen ein botanisches Straflager. Wenn ich ehrlich bin, vertrocknete jede Pflanze bei. Mir fehlte die Disziplin und Ausdauer mich um sie zu kümmern. Meistens vergas ich sie und schmiss nach einigen Monaten die vertrockneten Überreste in die Mülltonne.

Aber nun wird alles anders!

Ich habe von dem Schicksal der Pflanze in meinem Esszimmer erzählt, weil sie ein Symbol für etwas ist, das auch ein Grund ist, weshalb ich mit allen größeren Schreibprojekten gescheitert bin: mangelnde Disziplin.

Normalerweise mache ich mir zu beginn eines neuen Jahres keine guten Vorsätze. Ich bin der Meinung, wenn man weiß, was für schlechte Angewohnheiten man sich abgewöhnen sollte, dann sollte man mit dem Abgewöhnen nicht bis zum nächsten Neujahrsmorgen warten sondern sofort damit anfangen. Insofern ist mehr Disziplin wahrscheinlich nur deshalb mein guter Vorsatz für 2008, weil mir zu Beginn des neuen Jahres bewusst wurde, dass ich niemals eine Schriftstellerin sein werde, wenn nicht disziplinierter werde.

Weil ich nicht glaube, dass ich einfach so disziplinierter werde, habe ich mir einige Trainingsaufgabe in Sachen Disziplin überlegt. Obwohl natürlich mein Hauptsziel mehr Schreibdisziplin ist, hat kaum eine der Übungsaufgabe etwas mit Schreiben zu tun. Ich habe mir kleine Lektionen in Alltagsdisziplin vorgenommen: Eingehende Post nicht wochenlang auf dem Eingangsstapel ablegen, sondern noch am selben Tag bearbeiten und abheften; den Schreibtisch in Ordnung halten, nichts Unnötiges darauf liegen lassen; Kleidung, die ich abends ausziehe, am nächsten Tag aber nicht wieder anziehen werden, nicht mehr auf einen Stapel legen sondern zurück in den Schrank hängen; gebrauchtes Geschirr in die Spülmaschine stellen; Flecken in der Küche sofort (nicht erst beim nächsten Wohnungsputz) wegwischen; und noch mehr solcher Kleinigkeiten habe ich mir vorgenommen, um mich in Disziplin zu über. Und natürlich: meine Pflanze pflegen, damit sie nicht eingeht.

"Disziplin!", rufe ich mir nun mehrmals am Tag zu, wenn ich nachlässig zu werden drohe.

Ich merke die Wirkung schon: Auf meinem Schreibtisch liegen kaum noch Sachen, die mich von Schreiben ablenken könnten, da bleibt mir nichts etwas anderes übrig als: zu schreiben.

18
Jan
2008

Es wird ernst ...

Ich schreibe noch, auch wenn mein letzter Beitrag hier schon einige Wochen her ist: Ich schreibe noch. Ich war sogar ziemlich fleißig: Ich habe endlich meine B4 eingesandt und diese Woche mit der Arbeit an der B5 begonnen, aber das wird sicherlich nur ein paar Eingeweihten unter meinen Lesern, die ich hier vielleicht noch habe, etwas sagen.

Für diese Eingeweihten habe ich auch eine Nachricht, die mindestens eine davon zu einem Kommentar provozieren wird: Ich breche mein Studium bei der Schule des Schreibens ab. Ich habe das schon mehrmals angekündigt und jedes Mal ein ungutes Gefühl dabei gehabt, das eigentlich nur eine Ursache hatte: Stolz. Ich habe viel Geld für diesen Fernkurs bezahlt, da wollte ich wenigstens einen Abschluss (wenn auch nur in Form einer Bescheinigung, dass ich den Lehrgang bis zum Ende absolviert habe). Ich war zu stolz mir einzugestehen, dass ich die Kursgebühr umsonst bezahlt habe. Um dieses Eingeständnis des Scheiterns kann ich mich nicht länger drücken.

Meine reguläre Studienzeit endete im Februar 2007. Ich habe bereits ein einjährige Verlängerung in Anspruch genommen (Mitte Februar müsste ich meine B12 abgeben) und nicht nutzen können. Letztes Jahr im Spätsommer hatte ich noch die Idee, wenn ich mich richtig anstrenge, d.h. alle zwei bis drei Wochen eine Einsendeaufgabe abgebe, dann könnte ich es noch schaffen. Aber es funktioniert nicht mit einem 40-Stunden-Brotberuf nebenher.

Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Jetzt, da mir langsam bewusst wird, dass es die Richtige ist, löst sie zwei Gefühle in mir aus: Erleichterung und Aufbruchstimmung. Ich schiebe das Fernstudium nicht mehr vor mir her. Ich bin nicht mehr dem Zwang unterworfen, jeden Monat eine Einsendeaufgabe schreiben zu müssen.

Eine neue Phase in meinem Leben als Schriftstellerin beginnt: Niemand stellt mir eine Schreibaufgabe, ich muss mir nun selbst überlegen, was ich schreiben will. Als mir das beim Abendbrot klar wurde, erschrak ich deswegen zuerst. Nun bin ich bei meinem Schreiben auf mich selbst gestellt, muss die Schreibaufgaben selbst definieren, kann mich nicht mehr vor meinen Ideen verstecken oder fantasieren, was für tolle Geschichten oder Romane ich aus ihnen machen könnte.

Nun wird es sozusagen Ernst mit dem Schreiben.

"Das wurde aber auch Zeit!", rufen ein paar Leute, die mir wichtig sind und schon viel zu lange darauf warten. Sie blicken gerade verwundert durch meinen Augen auf den Bildschirm: „Meint Sarah das jetzt ernst? Will die uns jetzt endlich aus ihrem Kopf herauslassen?“

Ja, Leute, ich übergebe Euch das Kommando über mein Schreiben, Euch, die ihr zu lange in vagen Ideen gesiecht habt. Ich will endlich Eure Geschichten schreiben.

25
Nov
2007

Messer

Sie legte das Messer zurück in die Schublade, nachdem sie das Blut an ihrer Schürze abgewischt hat, nachdem sie ihre Hände gewaschen hat. War es das Wert? Was wird sich jetzt für sie ändern? Wenn sie nicht aufpasst, wenn sie in den nächsten Wochen einen Fehler macht, dann wird sie ausziehen müssen, nicht freiwillig, sie wird sich die Wohnung nicht selbst aussuchen dürfen. Ein kleines Einzelzimmer wird man ihr zuweisen. Mit einem Schlüsselwächter und einem Torwächter. Eine Zukunft gebaut aus Verboten, Verordnungen, und Demütigungen. Ihr Blick folgt der Blutspur, die auf das Laminat tropfte, nachdem sie vom Schlafzimmer in die Küche ging. Nun gibt es nur ein ein Danach, das Vorher stach sie mit dem Messer aus dem Fleisch ihres Lebens. Sie trocknet sich die Hände ab. Wie sah das Vorher aus? Schneller als sie ahnte verblasst die Erinnerung. Wie ein Fleck auf einem Löschpapier, das auf einer Heizung liegt. Ausgetrocknet, Laub das im Herbst von den Bäumen fällt. Sie nimmt ein Glas aus dem Schrank, füllt es bis zum Rand mit Rotwein, setzt das Glas an die Lippen, anstatt zu trinken, kippt sie sich den Wein über den Kopf, leckt nur die Tropfen, die der Zufall über ihre Lippen spült mit der Zunge. Sie setzt sich auf einen Stuhl. Die heilige Flüssigkeit sickert in das Nachthemd. Widerstehen Blutflecken einem Vollwaschmittel standhafter als Blutflecken. Saubermachen, aufräumen, ein Alibi zurecht legen, ein Story erfinden, die man glauben könnte, wenn die Augen den dazu passenden Blick fänden. Sie muss etwas tun. Aber sie hat es schon getan. Es gibt nichts mehr zu tun. Sie lächelt.

11
Nov
2007

Martha will ein iPhone

Ein feuchter Wind blies durch die Schildergasse. Martha klappte den Kragen ihres Mantels hoch, presste die Hände in die Taschen und stellte sich in die Reihe der Leute, die vor dem T-Punkt warteten. Sie schaute auf ihre Armbanduhr: 23:45, noch eine viertel Stunde bis der Laden öffnete, dann endlich hätte das lange Warten ein Ende. Der Asphalt glänzte im Schein der Straßenlaternen und dem Licht, das aus den Schaufenstern der Nachbargeschäfte fiel, vor denen natürlich keine Menschenmenge stand. Nur ein paar Schaulustige steckten die Köpfe zusammen und lästerten über die Leute, die bei so einem ungemütlichen Wetter kurz vor Mitternacht vor einem T-Punkt ausharrten, nur um ein Telefon zu kaufen. Journalisten und Kamerateams drängelten sich durch die Gruppe, um vom Verkaufsstart es iPhones in Deutschland zu berichten

Noch zehn Minuten, dann endlich würde auch sie eines kaufen können. Das coolste Mobilfunktelefon aller Zeiten. Sie spürte, wie sich bei diesem Gedanken ein verklärter Ausdruck über ihr Gesicht legte, den sie nur zu gut kannte. Mit diesem Lächeln sprachen alle Apple-Begeisterten, wenn sie von ihrem Panther, Tiger oder Leoparden schwärmten.

„Du willst dir das Ding also wirklich kaufen?“, hatte Lutz gefragt und verständnislos den Kopf geschüttelt, als sie sich an diesem Abend auf dem Weg machte. „Du bist verrrückt!“

Als Martha um kurz nach Mitternacht den T-Punkt betrat, dachte sie wieder an die Argumente, die Lutz aufgezählt hatte. Brauchte sie das iPhone so dringend, dass es sich lohnte die nächsten zwei Jahre jeden Monat mindestens 49,-- € Grundgebühr zu zahlen? Natürlich war der Tarif teuer. Und wenn sie ehrlich war, brauchte sie das iPhone nicht. Bisher hatte sie die Möglichkeit, das Internet in ihrer Handtasche mit sich herumtragen zu können, nicht vermisst. Im Durchschnitt bekam sie pro Tag drei oder vier Emails, die selten so dringend waren, dass sie permanenten Zugriff auf ihr Emailkonto benötigte. Beim iPhone ging es nicht um dessen Notwendigkeit sondern um dessen Eleganz und konzeptionelle Schlichtheit. Es kam mit einem einzigen Bedienknopf aus, dessen Funktionalität allein darin bestand, aus jedem beliebigen Zustand zurück zum Startbildschirm zu gelangen. Verglichen damit war ihr Nokia 6230i und jedes andere Mobilfunktelefon ein grob zurecht geschliefener Faustkeil. Die Frage war nicht, ob sie es brauchte sondern ob sie es haben wollte. Ja, sie wollte es haben!

Sie erinnerte sich an ihre Reaktion als sie vor einigen Monaten Steve Jobs Präsentation des iPhones sah. Schon damals war sie begeistert gewesen. Seitdem verfolgte sie jede Meldung im Internet, wann und bei welchem Provider des iPhone in Deutschland erhältlich sein würde. Als dann die ersten Gerüchte der iPhone-Tarife von T-Mobile kursierten, war sie enttäuscht, weil sie sich die nicht leisten konnte. Nachdem sie die ersten Analysen der Tarife gelesen hatte, nach denen diese verglichen mit ähnlichen Tarifen anderer Provider durchaus fair seien, ebbte ihre Enttäuschung über Apple und T-Mobile für ein paar Stunden ab. Dann mussten die Tarife wohl so teuer sein, wenn das selbst der Redakteur von Spiegel-Online schrieb. Aber ihre Enttäuschung kehrte bald zurück. Nein, darum ging es doch gar nicht. Es ging einfach nur darum, dass Martha das iPhone haben wollte, weil sein Design und seine Funktionalität sie irgendwie ansprachen. Sie besass ein MacBook und einen iPod. Sie bereute keinen Cent, den sie dafür bezahlt hatte, obwohl Apple-Produkte teurer waren als vergleichbare Geräte anderer Hersteller. Sie war auch bereit den Preis des iPhones zu zahlen. Aber sie sah nicht ein, weshalb sie zusätzlich eine monatliche Mindestensgebühr zahlen sollte, nur um das iPhone besitzen zu dürfen. Warum durfte sie das iPhone nicht mit ihrem jetzigen Tarif nutzen? Natürlich war es für diesen überdimensioniert. Sie brauchte kein Visual-Voice-Mail, sie brauchte das Internet nicht in ihrer Handtasche, sie musste nicht im WiFi-iTunes-Store Musik kaufen. Sie wollte mit dem iPhone nur telefonieren, Musik hören, Fotos und Videos gucken, das alles in einem einzigen coolen Gerät. Sie wollte das iPhone einfach nur genießen.

Sie stand vor einem Stapel mit iPhones-Karton. Eine Mitarbeiterin des T-Punktes bot ihr einen Kaffee an, sie lehnte dankend ab. Ihre Füße froren. Sie nahm eine Karton vom Stapel, ihre Hände zitterten, sie schaute zur Kasse und spürte wieder die Wut und Enttäuschung, wie vorhin als sie sich mit Lutz wegen des iPhones gestritten hatte.

„Das verstehst du nicht!“, hatte sie geschrien und war aus der Wohnung gestürmt.

Sie bereute, dass sie ihre Enttäuschung über Apples Vermarktungsstrategie für das iPhone an Lutz ausgelassen hatte; diese Strategie die so gar nicht zu ihrem bisherigen Bild von Apple passte, die ihr so kalt und berechnend schien.

„Hey, Martha!“

Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. Lutz Blick traf sie so überraschend, dass sie zuckte und einen Schritt zurück machte. Seine Hände steckten in den Taschen seines Duffle Coat, um den Hals hatte er den Schal gewickelt, den sie ihm gestrickt hatte.

„Du brauchst kein iPhone, um cool zu sein“, sagte er ruhig. „Für mich bist du die coolste Frau der Welt!“

Martha legte den Karton zurück und lächelte.

3
Nov
2007

Das Mädchen am fernen Ufer

Seit einiger Zeit beobachte ich eine seltsame Entwicklung bei mir, mit der ich so nicht gerechnet hatte, als ich meinen Weg vom Mann zur Frau vor vier Jahren begann. Ich kann mich noch gut an ein Telefongespräch mit einer Freundin erinnern, als ich gerade dabei mich an meinen weiblichen Vornamen zu gewöhnen. Als ich damals ihre Nummer wählte, lebte ich glaube ich noch nicht als Frau, sondern ging noch als Mann zur Arbeit und lebte meine Weiblichkeit nur in der Freizeit. An den genauen Anlass des Anrufes erinnere ich mich nicht mehr, wahrscheinlich wollte ich mit ihr ins Kino gehen.

„Hallo, hier ist Heiko ... äh Sarah ... äh ...“, stammelte ich.

„Wer auch immer von euch beiden grade spricht“, antwortete sie amüsiert. „Schön, dass du anrufst. Worum geht’s?“

Heute habe ich natürlich keine Probleme mehr meinen Vornamen zu nennen. Manchmal streift mein alter Vorname mich wie Windhauch.

Während der ersten Jahre als Frau strengte ich mich an, wenn ich von mir in einer bestimmten Rolle sprach, immer die weibliche Form zu benutzen. Ich sprach von mir als Leserin, Theaterbesucherin, Spaziergängerin, Radfahrerin. In solchen Situationen musste ich mich anfangs konzentrieren, um jedes mal die Endung „-in“ an die Rollenbezeichnung anzuhängen. Einmal sprach ich mit einer Freundin darüber, sie sagte, dass ihr schon aufgefallen wäre, dass ich immer die weiblich Form für mich benutze. Sie würde das für sich nur selten machen, das sei ihr zu umständlich

Ich hatte an dieser Stelle schon einmal darüber geschrieben, was für ein sonderbares Gefühl es ist, wenn ich Fotos von mir als Junge oder Mann sehe. Als ich mich zu dem Wechsel entschloss, rechnete ich damit, dass es nicht immer leicht oder angenehm sein würde, meine männliche Rolle und die Spuren, die sie in meiner Vergangenheit hinterlassen hat, mit meinem jetzigen Leben in Einklang zu bringen, um so mehr staune ich über die Beobachtungen, die ich an mir in den letzten Woche machte.

Manchmal stelle ich mir vor, wie ich anderen von meiner Kindheit und Schulzeit erzähle. Es sind banale Gespräche, die ich mir ausmale, es geht in ihnen um normale Erfahrungen und Eindrücke, wie sie jeder macht. Wenn ich solche Gedanken formuliere, beginne ich die Sätze immer öfter mit „Als ich ein kleines Mädchen war...“ oder „Als Schülerin ...“, aber ich war nie ein kleines Mädchen oder eine Schülerin. Obwohl sie keine realen Erinnerungen spiegeln, kommen mir die Formulierungen zwanglos in den Sinn. Ich muss mich dafür nicht konzentrieren. Vielmehr kommen mir die entsprechenden männlichen Formulierungen unpassend vor. Ich hatte bisher immer angenommen, dass sich mein Frau-sein von dem Zeitpunkt an, seitdem ich als Frau lebte oder seitdem ich eine Frau bin, nur in meine Zukunft auswirkt, meine Vergangenheit oder meine Erinnerung aber nicht ändert.

Eine Lampe wirft in der Dunkelheit einen runden Lichtkegel um sich. Ich beginne zu ahnen, dass mein Wechsel eine Lampe ist, die ich einschaltete, um mit ihr nach vorn zu gehen, deren Licht und Wärme aber nun auch den Weg hinter mir bestrahlt.

Von meinem Boot aus schmeiße ich Steine in den See. Die Wellen breiten sich in alle Richtungen aus. Wenn ich mich umblickte, sehe ich, wie die Wellen an die fernen Ufer meiner Kindheit schwappen. Aus der verschwommenen Ferne winkte mir ein Mädchen mit langen geflochtenen Zöpfen zu.

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