Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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Das Streben nach Angst
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Sinkflug
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Ohne Zweifel von außen,
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HARFIM - 2. Mär, 00:10
Schreibheimat
Gestern kam die neue Ausgabe der TextArt. Auch wenn...
sarah.tegtmeier - 1. Mär, 22:25

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Fingerübungen

19
Sep
2009

Die Schuldige

“Du bist Schuld!”
Marlene blickte in den Spiegel. Das Gesicht verzog keine Mine.
“Du bist Schuld!” Sie tippte mit einem Finger auf das Gesicht. “Du! Du! Du!”
Sie ließ den Bademantel von ihren Schultern gleiten, tauchte ihr Gesicht in das kalte Wasser im Waschbecken, bis sie keine Luft mehr hatte und Atem holen musste.
“Hätte ich doch nie auf dich gehört!”, schrie sie das Gesicht im Spiegel an. “Wenn wir es auf meine Art gemacht hätten, dann wären wir Isabelle jetzt los. Ist dir das klar? Du verdammte Hexe!”
Im Wohnzimmer brannte nur die Stehlampe. Auf dem Bildschirm flimmerte der Bericht von dem Flugzeugabsturz. Eine Lufthansa-Maschine war auf ihrem Flug von Frankfurt nach Barcelona über Frankreich in Schwierigkeiten geraten. Der Pilot hatte noch einen Funkspruch senden können, dann war die Verbindung abgebrochen, das Flugzeug stürzte über den Pyrenäen ab.
Marlene hockte sich auf die Lehne eines Sessels und goss sich ein Glas Whiskey ein.
„Die Rettungskräfte haben keinerlei Hoffnung Überlebende zu finden“, erklärte die Moderatorin der Sondersendung, während im Hintergrund Bilder von der Absturzstelle zu sehen waren: verstreute Wrackteil, zwischen denen kleine orangene und gelbe Punkte kletterten.
Sie nahm einen Schluck Whiskey, schleuderte das Glas in Richtung des Bildschirms. Es verfehlte das Gerät knapp, zerschellte an der Wand. Der Whiskey troff an der Tapete herunter.
„Scheiße!“
Ihr Handy klingelte. Auf dem Display leuchtete Max’ Name. Widerwillig griff sie nach dem Handy, atmete tief durch. Erst als ihre Mailbox schon die Ansage herunterleierte, nahm Marlene das Gespräch an.
„Ja!“
Sie hatte ihre Stimme nicht im Griff, sie klang etwas zu gereizt, aber er würde es unter den Umständen wahrscheinlich als emotionale Erregung verstehen.
„Was ist mit dir los?“ Natürlich wusste er, dass sein Name auf dem Display erschien. „Warum lässt du es so lange klingeln?“
Ahnte er vielleicht doch etwas von ihrem Zorn. Zuzutrauen wäre es ihm.
„Ich war im Bad. Ich bin total fertig.“ Wenigstens musste sie sich nicht sehr bemühen Betroffenheit zu heucheln. „Wie geht es Isabelle?“
„Wie soll es deiner Schwester schon gehen.“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll. „Erst schreist du hier das halbe Haus zusammen und beschuldigst sie vollkommen ohne Grund.“
„Es tut mir leid.“
Max schwieg. Hatte er überhaupt eine Ahnung, wie sehr sie die Szene vom Vormittag bereute. In der Stille der Verbindung knisterten seine Gedanke. Sie stellte sich seinen Ich-weiß-genau-was-du-jetzt-denkst Blick vor.
„Dann verpasst sie deswegen ihren Flug nach Barcelona. Wie würde es dir gehen, wenn dir durch so einen krankhaften Tobsuchtsanfall das Leben gerettet wird.“ Er machte eine Pause, wieder dieses knistern seiner Gedanken. „Zwei Stunden haben wir gebraucht das Chaos, das du hier angerichtet hast, zu beseitigen.“
Ein Luftzug fuhr vom Balkon herein. Ihr fröstelte. Die Badezimmertür schlug zu. Sie zuckte zusammen. Marlene spürte wie sie sich wieder näherte als hülle sie jemand in einen seidenen Umhang.
„Und als ich sie dann einigermaßen beruhigt hatte“, fuhr er fort, „haben wir die Nachrichten eingeschaltet und vom Absturz ihrer Maschine erfahren.“
„Wann kommst du?“
„Keine Ahnung. Ich glaub’, ich fahr’ erst mal in meine Wohnung“
Er seufzte. Sie presste das Handy an ihr Ohr, um kein Knistern oder Rauschen zu verpassen. Die Verbindung war so einwandfrei, dass sie fürchtete, er hätte aufgelegt.
„Max!“, flüsterte sie. „Bist du noch dran?“
„Marlene, ich weiß nicht, ob ich wieder kommen will.“
Ein einzelnes Knacken, dann brach die Verbindung ab.

6
Sep
2008

Algarve, Portugal

Noch immer überkommt mich ein sonderbares Gefühl, wenn ich das Foto betrachte. Der Atlantik strömte um meine Waden, rollte sich das Ufer empor, die Brandung schäumte und rauschte, Salzwasser spritzte mir ins Gesicht. Der Mann am rechten Bildrand glotzte mich missmutig an, als ich an ihm vorbei ging. Häuser drängelten sich an dem Hügel, die bleichen Fassaden blendeten mich mit gleißenden Licht. In einem dieser Häuser wohnte Martha. Ich schaute zu dem Felsen, der von den Quartieren der Einheimischen und den Hotelblocks eingeklemmt wurde, und suchte nach dem Balkon meines Zimmer, konnte aber nicht einmal mein Hotel finden. Nicht das einzige, was mir abhanden kam. Ich schlenderte am Strand entlang. Eine Frau in einem roten Bikini ließ sich von ihrem Begleiter eincremen. Ein paar Kinder planschten in den Wellen. Vor der Uferpromenade räkelten sich Holzboote, an einigen werkelten Männer mit verwitterten Gesichtern. Ein vollbärtiger Greis strich den Rumpf einer Jolle mit Pech, der Geruch stieß mir in die Nase. Der Alte grinste mich an. Ich überlegte ihn zu fragen, ob ich sein Boot mieten könnte, für mich und Martha, ging aber weiter. Unter einem Baldachin verkaufte ein Junge Eis und Getränke. Flamenco-Musik dudelte aus einem Radio. Ich lauschte dem Gemurmel der Urlauber, die sich am Strand sonnten: Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Deutsch rieselte in meine Ohren. Keine der Stimmen erzählte von Martha. Ich erreichte den Felsen, wo ich in einigen Stunden mit ihr verabredet war. Durch das Gestrüpp, das den Felsen überwucherte, wisperte eine Brise. Ich hockte mich in den Eingang einer schmalen Grotte und wartete auf Martha. Kühle und der Geruch nach Seetang schirmten mich ab.

17
Okt
2007

Ratten

Warum hatten sie sich gestritten? Nadine schaute zum Himmel, tiefblau hing er über ihr wie eine Kuppel. Die Sonne war schon hinter die schnee bedeckten Tannen gesunken, trotzdem blendeten sie die Strahlen, die durch die Zweige schienen. Frank, dachte Nadine. Nur dieser Gedanke war von dem Streit gestern Abend übrig geblieben. Wie er aus der Wohnung gestürmt war, mit Schweiß auf der Stirn. Ob er zurück kommt?

Über den Weg blies ihr ein frostiger Wind ins Gesicht. Die Spitzen der Tannen schwankten unschlüssig, raunten als wunderten sie sich über die Joggerin, die so spät am Nachmittag hier unterwegs war. Sie hielt an, zog die Fäustlinge aus und klemmte sie zwischen die Knie. Der Wind stach wie Reisszwecken in ihr Gesicht. Sie löste den Schal und wickelte ihn um Hals und Gesicht, schob sich die Pudelmütze tiefer in die Stirn. Ihr Atem trieb in Wolken davon. Sie überlegte umzukehren wegen der Kälte, aber die Luft war so rein und klar, der Wald so friedlich. Sie lief weiter, der Schnee knirschte unter ihren Sohlen. Sonst war es still. Die Stämme knarrten.

Hinter ihr krächze ein Vogel. Sie zuckte zusammen, drehte sich um. Eine Rabe flog über ihren Kopf hinweg und landete in einer Tanne, die alle ihre Nadel verloren hatte. Der Vogel krächzte aufgeregt, hinter der nächsten Kurve hörte sie mehr Stimmen. Der Rabe schien sie zu beobachten. Als sie weiterlief, schwang sich das Tier in die Luft und flog voran. Nadine starrte ihm hinterher. Als sie um die Ecke bog flog vor ihr ein Schwarm Raben auf, sechs, vielleicht auch mehr Vögel kreisten über ihrem Kopf. Sie mochte Raben, ihren rauhen Stimmen, die klangen als hätten sie zu viel Rotwein getrunken und zu viel Zigarren geraucht.

Beim nächsten Schritt knackte es unter ihrer Sohle: Sie hatte in tote Ratte getreten. Der Kadaver war unter ihrem Tritt aufgeplatz, Blut klebte an ihrem Schuh. Einen Moment drehte sie ihr Gesichtsfeld. Dann erst erschrak sie und machte einen Schritt zur Seite. Mit dem anderen Fuss tratt sie auf eine zweite Ratte, eine graubraun gescheckte, die erste war weiß gewesen. Sie schwankte. Der Weg vor ihr war übersät mit toten Ratten, graue Ratten, braune Ratten, weiße Ratten mit braunen Flecken, einige lagen flach auf dem Bauch, andere auf dem Rücken, auf der Seite, die Schwänze hatten sie wie Schwerter in den Schnee gestreckt oder um den Leib geschlungen. Einigen hatten die Raben den Bauch aufgepickt, Gedärme quollen heraus.

Nadine wich einige Schritte zurück, Mitleid und Ekel fesselten ihren Blick an das Leichenfeld. Sie hockte sich nieder, riss den Schal vom Hals und übergab sich in den Schnee. Dann schaute sie zurück auf die Ratten. Das nächste Tier vor trug ein rotes Halsband, an dem ein rundes Metallplättchen hing, worauf in schwarz die Nummer 37 stand. Auch die Ratte, die neben dieser lag, hatte ein Halsband wie ihre Nachbarin, das Plättchen zeigte die Nummer 12. Nadine wunderte sich über die Nummern. Sie stand auf und als brächte das Ordnung in ihre Verwirrung und vertriebe ihren Ekel, umrundete sie die Kadavar, zählte sie durch: Genau 50 Ratten, jede trug ein Halsband. Die Tiere schienen von eins bis fünfzig durchnummeriert.

Ein Rabe flog dicht über sie hinweg und krächzte wütend. Die Vögel kreisten über Nadine und kamen ihr immer näher. Erschrocken drehte sie sich um ging langsam den Weg zurück. Inzwischen war die Sonne untergegangen und Nadine konnte kaum den Boden zu ihren Füßen sehen. Hastig stolperte sie zurück zu ihrem Wagen. Sie mussten jemanden anrufen. Erst als sie den Parkplatz erreichte, zog sie ihr Handy aus der Hosentasche. Wen sollte sie Anruf? Die Ratten bedeuteten etwas? Sie mussten jemandem gehören, der sie entweder vermisste oder für ihren Tod verantwortlich war. Die Polizei musste sich darum kümmern, musste ermitteln und den Schuldigen verhaften. Nach dem Gespräch lehnte sie sich gegen ihren Golf. Scheinwerfenkegel huschten hinter über die Landstraße vorbei. Nadine fror, setzte sich aber nicht in den Wagen, sie fühlte sich einsam, dachte wieder an Frank: warum? Warum wollte sie in anrufen und von den Ratten erzählen? Würde das etwas ändern?

15
Okt
2007

Feddersen steht auf

Musste diese verdammte Negerin ausgerechnet um viertel vor sechs kommen. Jeden Tag ging er um die gleiche Zeit nach Hause, Feddersen hatte nicht vor heute eine Ausnahme zu machen, mochte der Fall dieser Schwarzen noch so dringend sein.

"Aber verstehen Sie doch" Die Frau breitete eine Handfläche vor ihm aus. "Meine Tochter wird in ein paar Wochen eingeschult. Ich brauche das Geld. Wie soll ich ihr die Hefte, Bücher und Stifte kaufen."

Feddersen wunderte sich, wie gut die Frau Deutsch sprach. Die meisten der Bimbos nuschelten, dass er sie kaum verstand.

"Ich kann Ihnen nicht helfen."

Langsam richtete er sich vor der Frau auf. Feddersen war groß und Kräftig, in seinem Boxverein nannten sie ihn Bulldoge. Er genoss, wie sich die Frau eingeschüchtert duckte. Er ging um den Schreibtisch herum, zog sie von ihrem Stuhl herunter und schob sie zur Tür heraus. Zufrieden räumte er seinen Schreibtisch auf. Um Punkt 18 Uhr wie an jedem Arbeitstag verließ er das Ausländeramt.

"Pünktlich wie immer, Herr Feddersen", sagte der Pförtner am Eingang. Feddersen nickte antwortete mit einem grimmigen Blick.

Auf der Bank der Haltestelle hockte zu seinem Unmut die Schwarze, die eben seinen Rhythmus gestört hatte. Zum Glück bemerkte sie ihn nicht. Nach einigen Minuten kam der Bus. Wortlos ging Feddersen an Willy Otremba, dem Busfahrer, mit der er für gewöhnlich ein Schwätzchen hielt, vorbei und setzte sich in die letzte Reihe. Die Negerin wählte einen Platz in der Mitte.

Was hatte sie hier zu suchen, fragte er sich, als der Bus los fuhr. Sie gehörte nach Afrika, wo ihre schwarze Haut sie vor der Sonneneinstrahlung schütze. Deutschland war ein weißes Land. Im Grunde verstand er die Frau sogar. In ihrer Heimat herrschte wahrscheinlich Bürgerkrieg oder eine Hungerkatastrophe. Aber was konnte er dafür, dass diese Bimbos ihren Kontinent nicht in Ordnung halten konnten. Warum sollte die deutsche Gesellschaft dafür zahlen? Hatten sie hier nicht genug Probleme? Er fühlte sich in ihrer Nähe nicht wohl, irgendwie schuldig als hätte er etwas gut zu machen.

An der nächsten Haltestelle bestiegen zwei Skinheads in Fliegerjacken und Springerstiefeln den Bus. Feddersen schätze die beiden Männer auf ungefähr zwanzig. Sie stemmten die Hände in die Taschen als warteten sie nur auf eine Gelegenheit zu explodieren. Als der Bus weiter fuhr, entdeckte der kleinere der beiden die Schwarze, die sich in ihren Sitz kauerte und bemühte keine Aufmerksamkeit zu erregen.

"Hey, du Nigger-Fotze!" Er baute sich breitbeinig vor ihr auf und stieß sie mit der Faust an. "Dies ist ein deutscher Bus."

Der andere gesellte sich zu seinem Kameraden.

"Was haste hier zu suchen?" Er entriss ihr den Rucksack, den sie als Schutz gegen die Brust presste. "Willst dir wohl Kosten des Deutschen Volkes einen lauen Lenz machen."

"Lasst mich in Ruh'! Verpisst euch'!", fauchte die Schwarze.

"So spricht du nicht mit einem Deutschen!" Der größere schlug ihr ins Gesicht, dass ihr Kopf gegen die Buswand prallte.

Die Frau blickte sich im Bus. Für einen Moment sah Feddersen ihr in die Augen. Da war wieder dieser Vorwurf, diese Anklage. Die Frau schrie, als ein zweiter Schlag sie traf. Feddersen stand auf. Mit ein paar Schritten durchquerte er den Bus.

"Es reicht!" Er packte den ersten an der Schulter und zog ihn mit einem Ruck zur Seite, dass dieser zu Boden fiel.

"Otremba, halt mal an!", schrie er zum Busfahrer. "Die zwei wollen aussteigen."

Der Fahrer trat auf die Bremse. Die Türen schwangen auf, während der Bus ausrollte. Feddersen packte einen Skinhead, stieß ihn aus dem Bus, zerrte den anderen hinter sich her, warf ihn auf die Straße. Das ganze ging so schnell, dass die beiden Kerle sich nicht wehren konnten. Als sich die Türen des Busses schlossen, überschlug sich der eine auf dem Asphalt, während der andere sich die Wange rieb.

"Alles in Ordnung?"

Die Hand der Schwarzen zitterte, als Feddersen ihr den Rucksack reichte.

"Vielen Dank!"

Feddersen wehrte ihren Dank mit einer Handbewegung ab.

"Kommen Sie morgen wieder. Dann werden wir sehen, was ich für Sie tun kann."

Er nickte dem Busfahrer zu, dann ging er wieder zu seinem Platz in der letzten Reihe. Er spürte die Blicke der andere Fahrgäste.

9
Aug
2007

Verbotene Düfte

Inge setzte sich auf einen freien Platz in der Mitte des Busses, schaute auf die Uhr. Ihr Magen knurrte, aber ihre Diät erlaubte jetzt nur einen Becher fettarmen Joghurt, in den sie einen Apfel geschnitten und etwas Zimt darüber gestreut hatte. Sie holte die Tupperdose aus dem Rucksack, nahm den Deckel ab. So lecker wie am Morgen, als sie ihn zubereitet hatte, roch der Inhalt nicht mehr. Während sie lustlos mit einem Löffel umrührte, rempelte jemand sie an, so dass ihr fast der Becher vom Schoß fiel.

"Hallo, können Sie nicht aufpassen?"

Verärgert drehte sie sich nach dem Rüpel um. Drei Teenager schubsten einander durch den Gang und zwängten sich auf die letzte Sitzreihe. Jedes der Mädchen hatte höchstens Kleidergröße 38, genau der Frauentyp, dem ihr Freund seit Jahren nach starrte. Aber bald hätte das ein Ende. Dies Mal würde sie den Weg, der in den Filialen von Ulla Popken begann, bis zum Ende gehen. Wenn sie dann mit so einem einem bauchnabelfreien Top aus einer Umkleidekabine käme, würde Marc seine hämischen Kommentare zu ihrer wer-weiß-wie-vielten Diät schon bereuen.

Als sie einen Löffel mit Joghurt in den Mund schob, kroch ein verführerischer Geruch in ihre Nase, der so stark war, dass er das schwache Aroma der Früchte und des Joghurt überdeckte: Ein gefährlicher Duft, den sie gut kannte und dessen Verursacher nicht auf ihrem Diätplan stand. Sie schloss die Augen. In ihrer Vorstellung formte sich das Bild einer Schokoladentorte mit Haselnüssen. Der Versuchung der Spur des Duftes zu folgen, konnte sie nicht widerstehen. Als sie die Mädchen in der letzten Reihe erblickte, weiteten sich ihre Augen, Millimeter für Millimeter sackte ihre Unterlippe nach unten. Eines der Mädchen reichte eine Großpackung Schokolriegel herum. Während die Freundinnen hinein griffen, die Stücke aus der Schutzfolie wickelten und in den Mund stopften, unterhielten sie sich und lachten über ihre Scherze.

"Seht euch die fette Kuh an!" Eines der Mädchen zeigte auf Inge. "Was glotzte so? Willste auch ein Stück?"

Die drei steckten die Köpfe zusammen und kicherten. Inge erschrak und starrte wieder nach vorn. Wie konnten sie das nur machen?

"Guten Tag! Die Fahrscheine bitte!"

Ein beleibter Mann zeigt ihr seinen Dienstausweis. Inge nickte, reagierte aber nicht. Wie konnten sie nur Schokoriegel essen? Das konnten sie sich bei ihrer Figur gar nicht erlauben.

"Hallo, junge Dame!" Der Kontrolleur klang gereizt. "Das gilt auch für sie!"

Inge zog ihr Portemonnaie aus der Tasche, suchte nach dem Monatsticket.

"Ich versteh das nicht, es steckt immer hier zwischen den Scheinen", Vor ihren Augen drehte sich eine Pyramide aus Schokoriegeln. "Gleich habe ich es bestimmt gefunden."

Der Mann nickte, trommelte mit den Finger auf der Stange, an der er sich fest hielt.

"Lassen Sie's gut sein. Solche Ausreden höre ich jeden Tag. Die zieh'n bei mir nicht" Er klappte einen Block auseinander. "Ihren Personalausweis bitte!"

Inge reichte ihm den Ausweis. Verstohlen blickte sie zu den Mädchen, die noch immer kicherten und die Finger leckten, nachdem sie die Tüte geleert hatten.

"Ich muss Sie bitten auszusteigen", sagte der Kontrolleur, während er ihre Personalien aufnahm.

Der Bus fuhr die nächste Haltestelle an. Inge verstaute die Tupperdose im Rucksack und folgte dem Kontrolleur.

"Das macht ein erhöhtes Beförderungsentgelt von \EUR{40}" Er reichte ihr ein Formular. "Hier müssen sie unterschreiben."

Der Mann gab ihr einen Beleg und verabschiedete sich. Inge hockte sich auf die Bank der Haltestelle. Der Bus fuhr ab. Die Mädchen klopften von innen gegen die Scheibe und streckten ihr die Zungen entgegen. Sie verstand die Welt nicht mehr. Schlanke Mädchen durften keine Schokoriegel essen, vielleicht einen im Monat, aber auf keinen Fall eine ganze Tüte in fünf Minuten. Das hatte Inge in dem Alter zu oft getan. Die Mädchen mussten doch wissen, wie sie in einigen Jahren aussehen würden, so wie sie selbst. Sie war hungrig, ärgerte sich, weil sie ihre Monatskarte verloren hatte, und verspürte keinen Appetit auf den den Fruchtjoghurt, schon der Gedanke an ihn, ekelte sie. Sie musste etwas anständiges Essen. Wenn die Mädchen sich Schokoriegel gestatteten, dann durfte sie ...

Von einer Imbissbude neben der Haltestelle wehte ein würziger Geruch herüber. Sie überlegte einen Moment, dann ging sie hinüber.

"Guten Tag, eine große Portion Fritten mit Mayo, bitte!"

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