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ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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11
Nov
2007

Martha will ein iPhone

Ein feuchter Wind blies durch die Schildergasse. Martha klappte den Kragen ihres Mantels hoch, presste die Hände in die Taschen und stellte sich in die Reihe der Leute, die vor dem T-Punkt warteten. Sie schaute auf ihre Armbanduhr: 23:45, noch eine viertel Stunde bis der Laden öffnete, dann endlich hätte das lange Warten ein Ende. Der Asphalt glänzte im Schein der Straßenlaternen und dem Licht, das aus den Schaufenstern der Nachbargeschäfte fiel, vor denen natürlich keine Menschenmenge stand. Nur ein paar Schaulustige steckten die Köpfe zusammen und lästerten über die Leute, die bei so einem ungemütlichen Wetter kurz vor Mitternacht vor einem T-Punkt ausharrten, nur um ein Telefon zu kaufen. Journalisten und Kamerateams drängelten sich durch die Gruppe, um vom Verkaufsstart es iPhones in Deutschland zu berichten

Noch zehn Minuten, dann endlich würde auch sie eines kaufen können. Das coolste Mobilfunktelefon aller Zeiten. Sie spürte, wie sich bei diesem Gedanken ein verklärter Ausdruck über ihr Gesicht legte, den sie nur zu gut kannte. Mit diesem Lächeln sprachen alle Apple-Begeisterten, wenn sie von ihrem Panther, Tiger oder Leoparden schwärmten.

„Du willst dir das Ding also wirklich kaufen?“, hatte Lutz gefragt und verständnislos den Kopf geschüttelt, als sie sich an diesem Abend auf dem Weg machte. „Du bist verrrückt!“

Als Martha um kurz nach Mitternacht den T-Punkt betrat, dachte sie wieder an die Argumente, die Lutz aufgezählt hatte. Brauchte sie das iPhone so dringend, dass es sich lohnte die nächsten zwei Jahre jeden Monat mindestens 49,-- € Grundgebühr zu zahlen? Natürlich war der Tarif teuer. Und wenn sie ehrlich war, brauchte sie das iPhone nicht. Bisher hatte sie die Möglichkeit, das Internet in ihrer Handtasche mit sich herumtragen zu können, nicht vermisst. Im Durchschnitt bekam sie pro Tag drei oder vier Emails, die selten so dringend waren, dass sie permanenten Zugriff auf ihr Emailkonto benötigte. Beim iPhone ging es nicht um dessen Notwendigkeit sondern um dessen Eleganz und konzeptionelle Schlichtheit. Es kam mit einem einzigen Bedienknopf aus, dessen Funktionalität allein darin bestand, aus jedem beliebigen Zustand zurück zum Startbildschirm zu gelangen. Verglichen damit war ihr Nokia 6230i und jedes andere Mobilfunktelefon ein grob zurecht geschliefener Faustkeil. Die Frage war nicht, ob sie es brauchte sondern ob sie es haben wollte. Ja, sie wollte es haben!

Sie erinnerte sich an ihre Reaktion als sie vor einigen Monaten Steve Jobs Präsentation des iPhones sah. Schon damals war sie begeistert gewesen. Seitdem verfolgte sie jede Meldung im Internet, wann und bei welchem Provider des iPhone in Deutschland erhältlich sein würde. Als dann die ersten Gerüchte der iPhone-Tarife von T-Mobile kursierten, war sie enttäuscht, weil sie sich die nicht leisten konnte. Nachdem sie die ersten Analysen der Tarife gelesen hatte, nach denen diese verglichen mit ähnlichen Tarifen anderer Provider durchaus fair seien, ebbte ihre Enttäuschung über Apple und T-Mobile für ein paar Stunden ab. Dann mussten die Tarife wohl so teuer sein, wenn das selbst der Redakteur von Spiegel-Online schrieb. Aber ihre Enttäuschung kehrte bald zurück. Nein, darum ging es doch gar nicht. Es ging einfach nur darum, dass Martha das iPhone haben wollte, weil sein Design und seine Funktionalität sie irgendwie ansprachen. Sie besass ein MacBook und einen iPod. Sie bereute keinen Cent, den sie dafür bezahlt hatte, obwohl Apple-Produkte teurer waren als vergleichbare Geräte anderer Hersteller. Sie war auch bereit den Preis des iPhones zu zahlen. Aber sie sah nicht ein, weshalb sie zusätzlich eine monatliche Mindestensgebühr zahlen sollte, nur um das iPhone besitzen zu dürfen. Warum durfte sie das iPhone nicht mit ihrem jetzigen Tarif nutzen? Natürlich war es für diesen überdimensioniert. Sie brauchte kein Visual-Voice-Mail, sie brauchte das Internet nicht in ihrer Handtasche, sie musste nicht im WiFi-iTunes-Store Musik kaufen. Sie wollte mit dem iPhone nur telefonieren, Musik hören, Fotos und Videos gucken, das alles in einem einzigen coolen Gerät. Sie wollte das iPhone einfach nur genießen.

Sie stand vor einem Stapel mit iPhones-Karton. Eine Mitarbeiterin des T-Punktes bot ihr einen Kaffee an, sie lehnte dankend ab. Ihre Füße froren. Sie nahm eine Karton vom Stapel, ihre Hände zitterten, sie schaute zur Kasse und spürte wieder die Wut und Enttäuschung, wie vorhin als sie sich mit Lutz wegen des iPhones gestritten hatte.

„Das verstehst du nicht!“, hatte sie geschrien und war aus der Wohnung gestürmt.

Sie bereute, dass sie ihre Enttäuschung über Apples Vermarktungsstrategie für das iPhone an Lutz ausgelassen hatte; diese Strategie die so gar nicht zu ihrem bisherigen Bild von Apple passte, die ihr so kalt und berechnend schien.

„Hey, Martha!“

Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. Lutz Blick traf sie so überraschend, dass sie zuckte und einen Schritt zurück machte. Seine Hände steckten in den Taschen seines Duffle Coat, um den Hals hatte er den Schal gewickelt, den sie ihm gestrickt hatte.

„Du brauchst kein iPhone, um cool zu sein“, sagte er ruhig. „Für mich bist du die coolste Frau der Welt!“

Martha legte den Karton zurück und lächelte.
Mamue - 12. Nov, 00:41

Ja, so gefällt sie mir, deine Geschichte. :-) Ein schönes Ende.

Liebe Grüße,
Martina

Wally P. - 19. Nov, 11:05

Da du mir beim Stammtisch im Nachhinein erklärt hattest,was ein iPhone ist, konnte ich jetzt beim selbst lesen deinen Text auch richtig genießen...*lach*
Den Schluss, den du angehängt hast, finde ich sehr gut gelungen! Kurz und knapp trifft er des Pudels Kern: Denn im Grunde wollte Martha das iPhone doch nur haben, um "mithalten" zu können, um cool zu sein. Um ihr Selbstwertgefühl anzuheben. Dass dieses wohl arg angekratzt war, wird am Schluss offensichtlich. Denn durch Lutz´Kompliment, bzw. Liebeserklärung verliert das "iPhone-haben-wollen" vollends an Bedeutung.
Schöner runder Schluss!

Lieben Gruß
Wally


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