Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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sarah.tegtmeier - 1. Mär, 22:25

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6
Mrz
2011

Heilige Zeiten

Ich bin nicht sicher, ob ich das, was ich jetzt gerade schreiben will, wirklich verkünden will. Vor den Verpflichtungen, die sich daraus ergeben schrecke ich zurück. Kann ich mir diesen Schrecken leisten?

Nein!

Geht es mir nicht vielmehr genau darum, mich diesen Verpflichtungen zu stellen?

Ja!

Seitdem ich die Arbeit an meinem Roman begonnen habe, kämpfe ich mit einem der schlimmsten Gegner: Mit mir selbst. Wenn ich am Schreibtisch sitze, schaue ich mir regelmäßig in Gedanken über die Schulter.

„Warum surfst Du gerade jetzt nach Amazonien?“, fragt mein Schatten. „Warum kontrollierst du jetzt diese Einstellung Deines Macs? Warum sortierst Du jetzt das Altpapier aus?“

Er klopft mir fast zärtlich auf die Schulter.

„Warum respektierst Du Deine Schreibzeiten nicht, die Du doch schon so oft zu heiligen Zeiten erklärst hast?“

Dann drehe ich mich zu meinem Schatten. Er lächelt verständnisvoll und schüttelt amüsiert den Kopf. Mehr kann mein Schatten nicht machen. Da er mein Schatten ist, bringt er zu viel Nachsicht für mein Schwächen auf.

Also habe ich mir überlegt, dass ich mich nicht nur von meinem Schatten kontrollieren lassen darf. Eine Idee, wie ich es schaffen könnte, meine Schreibzeiten in Zukunft konsequenter einzuhalten, gab mir Leo Babauta in seinem Beitrag The Habit Change Cheatsheet. Der Blogger beschreibt darin eine Methode, wie man sein eigenes Verhalten ändern kann. Genau diese Methode will ich anwenden, um mich daran zu gewöhnen meine Schreibzeiten einzuhalten. Ich will jetzt nicht die Methode beschreiben. Das macht Leo in seinem Beitrag viel besser. Mir geht es um diesen Punkt auf seiner Liste:

26. Set up public accountability

In den nächsten vier Wochen will ich meinen Blog genau dazu nutzen: Rechenschaft ablegen, ob ich meine Schreibzeiten einhalte.

Ich spüre in mir eine große Scheu, diesen Schritt öffentlich anzukündigen. Sie wird weniger von Bedenken genährt, dass ich zu viel von mir Preis gebe, als vielmehr von Zweifeln, ob ich den Plan durchhalten werde, ob ich es schaffen werde. Wie werde ich mich fühlen, wenn ich hier eingestehen muss, dass ich das Monatsziel wieder nicht erreicht habe?

Damit wäre ich wieder am Anfang meiner Überlegungen. Drehe ich mich im Kreis? Wer aus einem Kreis ausbrechen will, muss geradeaus laufen. Morgen gehe ich los ...

26
Sep
2010

Meine neue Mitbewohnerin

Vor ein paar Jahren habe ich einen Film gesehen, in dem es um eine Untersuchung ging, wie viel Zeit Menschen in ihrer Wohnung mit bestimmten Tätigkeit verbringen. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, wie die Arbeitsabläufe in der Wohnung optimiert werden könnten und was bei der Planung der Inneneinrichtung berücksichtigt werden musste, damit die Bewohner die Hausarbeiten möglichst effektiv verrichten könnten. Zu diesem Zweck wurden Beobachter in die Wohnung geschickt. Sie reisten in winzigen Wohnwagen an, die sie in den Vorgärten der Häuser abstellten. Tagsüber hockten die Beobachter auf Hochsitzen, die in den Wohnungen montiert wurden. Von dort herab protokollierten sie alle Tätigkeiten des Bewohners mit einer Stoppuhr. Wie lang braucht er, um von der Küchetür zum Herd zu gehen? Wie lang dauerte es ein Ei zu kochen? Wie viel Zeit verbrachte der Mieter mit den Mahlzeiten? Die Beobachter hatten die strikte Anweisung, sich nicht mit den Menschen zu unterhalten. Für die Bewohner sollten die Beobachter praktisch nicht vorhanden sein. Jedwede Form der Kommunikation war verboten. Der Film spielte in den 50er oder 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Grenzgebiet von Schweden und Finnland.

Leider kann ich mich nicht mehr an den Titel des Films erinnern. Seit einigen Wochen denke ich öfter an eine Szene aus dem Film, die mir damals irgendwie Angst machte, mir sonderbar und unheimliche vorkam, obwohl sie vollkommen harmlos war.

Ein allein lebender älterer Mann betrat seine Küche. Er schnitt sich eine Scheibe Brot, schmierte Butter darauf und belegte sie mit einer Scheibe Wurst. Er füllte ein Glas mit Milch, setzte sich an den Küchentisch, trank und aß. Währenddessen notierte der Beobachter des Mannes von seinem Hochsitz aus jede Regung des Mannes.

Die Küche war spartanisch eingerichtet. Der Mann saß an einem rustikalen Holztisch, auf dem weder eine Tischdecke lag noch eine Vase mit Blumen stand. Von der Wand blätterte der Putz. Eine Spüle, ein rostiger Gasherd, über dem ein oder zwei Schränke hingen. Um die Beine des Mannes schnurrte keine Katze, am Kühlschrank hingen keine Familienfotos und Postkarten. Der Mann hatte keine Angehörigen, lebte allein, traf sich ab und zu mit Kumpanen in einem Wirtshaus auf ein paar Bier.

Was mir an dieser Szene, in der der Mann die Bissen kaute und gelegentlich mit einem ironischen Lächeln zu seinem Beobachter schielte, so unheimlich, so unerträglich vorkam, war die Stille, in der der Mann lebte. Während er sein Mahl aß, lief im Hintergrund kein Radio. Ich glaube, der Mann besaß noch nicht mal eines. Der Stuhl, auf dem er saß, knarrte, wenn er sich über den Teller beugte. Das Milchglass klopfte auf den Tisch, wenn er es absetze. Der Teller schrammte über das Holz, wenn er ihn versehentlich anstieß. Wenn er trank, gluckste er. Als er das Geschirr zur Spüle brachte, ächzten die Dielen. Der Wasserhan zischte, als er den Teller wusch. Das waren die einzigen Geräusche. Der Mann schwieg, der Beobachter schwieg, selbst die Wohnung schwieg.

Ich drückte mich tiefer in den Kinosessel und fragte mich, wie der Mann diese Stille aushielt. Wenn ich damals nach Hause kam, vertrieb ich zuerst die Stille aus der Wohnung. Ich schaltete das Radio oder den Fernseher ein, sorgte mit Musik für Hintergrundgeräusche.

Damals ...

Seit ungefähr einen Monat habe ich eine neue Mitbewohnerin. Wie lange bin ich achtlos an ihr im Treppenhaus vorbeigeeilt, wenn sie auf dem Fußabtreter hockte und darauf wartete, dass sie eintreten dürfe. Sie scheint schon länger geahnt zu haben wie gut wir miteinander auskommen würden.

Vor einigen Wochen beim Frühstück sah ich endlich ein, dass ich nicht gleichzeitig das Morgenmagazin auf WDR 5 hören und die Tageszeitung lesen konnte. Egal wie sehr ich mich auf das eine konzentrierte, das andere war immer neidisch darauf bedacht, meine Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Ich habe absolut kein Talent für Multitasking. Ich erinnerte mich, wer im Treppenhaus auf Einlass wartete.

„Also gut“, sagte ich zu ihr und öffnet die Tür, „du darfst reinkommen!“

Während sie sich in meiner Wohnung ausbreitete, schaltete ich das Radio aus und widmete mich wieder meinem Müsli und der Tageszeitung. Seit diesem Morgen, seit über einem Monat habe ich das Radio nicht mehr eingeschaltet. Anfangs war es etwas ungewohnt, aber ich vermisste nichts. Ich hatte ja meine neue Mitbewohnerin. Inzwischen habe ich nicht einmal mehr das Bedürfnis es einzuschalten und überlege, es wegzuräumen, weil dann auf dem Schrank Platz für eine Blumenvase wäre. Ich lasse mit nicht mehr von meinem Radiowecker wecken sondern von meinem Telefon. Es schweigt, sobald ich aufgestanden bin. Alle Hintergrundgeräusche, die mir sonst so wichtig schienen, flohen vor ihr, als sie ihre Habe auspackte.

Meine neue Mitbewohnerin verlangt im Badezimmer keinen Platz für eine Zahnbürste. Sie lässt keine stinkenden Socken herum liegen. Ich musste im Kleiderschrank meine Pullover nicht zur Seite schieben. Sie beansprucht nur den leeren Raum um mich herum. Sie hört mir zu. Sie unterbricht mich nicht. Sie tröste meine Gedanken. Sie wärmt meine kalten Füße. Sie umhüllt mich. Sie verträgt sich mit meinen Katzen. Sie ist nur sie selbst: Die Stille in meiner Wohnung.

13
Mai
2010

Mathematik ist einfach

Daniel überflog die Lösung der Übungsaufgaben für die Algebravorlesung. Stundenlang hatte er darüber gebrütet, bis er endlich einen Geistesblitz gehabt hatte. Eigentlich war Mathematik ganz einfach: Mit der richtigen Idee ergab sich der Rest von allein und man musste die Lösung nur noch aufschreiben. Er heftete die Zettel ab. Jetzt konnte er doch zu Roberts Geburtstagsparty gehen.  Er steckte das Geschenk für den Freund in seinen Rucksack und machte sich auf den Weg. Er freute sich Robert wiederzusehen. Zuletzt hatten sie sich während der Semesterferien getroffen. Er schlenderte durch den lauen Spätsommerabend und pfiff und summte vergnügt. Eine halbe Stunde später klingelte er bei Robert. Kurz darauf hörte er, wie jemand durch das Treppenhaus herunter rannte, dann öffnete Robert die Tür.

"Ach, hallo Daniel!", schnaufte er. "Blöder Türöffner! Seit Wochen ist der nun kaputt!"

Er drehte sich um und schlurfte mit hängenden Schultern zu den Treppen.

"Hallo, Robert! Wie geht's?", fragte Daniel und wunderte sich über die unfreundliche Begrüßung. "Warum warst du bisher nicht in den Vorlesungen?"

"Ach, ich weiß nicht, keine Lust, mir ging es nicht so gut", wich der Freund aus.

Als die beiden die erste Etage erreichten, klingelte in einer der oberen Wohnungen ein Telefon.

"Das ist meines", Robert schien froh, das Gespräch beenden zu können, und lief voraus. Daniel trottete hinterher. Sein Blick wanderte über die mit Graffitti beschmierten Wände. Unter seinen Schritten ächzten den Dielen.  Wie konnte sich Robert in diesem heruntergekommenen Haus nur wohl fühlen? Als er die Küche des Freundes betrat, sah er ihn im Nebenzimmer telefonieren.

"Ja, schade, dass du nicht kommen kannst", sagte Robert in den Hörer, "bis demnächst, tschüß!"

Das Gespräch schien beendet, aber Robert hielt den Hörer noch ein paar Sekunden an sein Ohr, dann legte er ihn langsam auf den Schreibtisch und stützte sich mit beiden Armen ab.

"Scheiße! Scheiße!", flüsterte er so leise, dass sich Daniel nicht einmal sicher war, ob er sich verhört hatte. Er legte seinen Rucksack neben dem Esstisch ab und zog das Geschenk für Robert heraus. Auf dem Küchentisch waren einige Schälchen mit Käse, Tomaten, Champignons und Mais hergerichtet. Davor lag auf einem Holzbrett eine angeschnittene Zwiebel.

Robert kam aus dem anderen Zimmer zurück. Als er durch die Tür ging, schlug er mit einer Faust gegen den Rahmen. Er setzte sich Daniel gegenüber auf einen Stuhl und schnitt die Zwiebel in kleine Würfel. Ab und zu rieb er sich mit einer Hand die Augen.

"Noch eine Absage!", murmelte er, zerhackte die Zwiebel zu einem Brei und deutete auf die Schälchen. "Ich dachte, ich bereite Baguettes vor, die sich jeder selbst belegen kann"

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

"Robert! Was ist denn los?"

"Ich habe Geburtstag!"

"Ja, und?"

"Außer dir haben alle abgesagt. Das ist kein Geburtstag".

Robert stand auf und ging gestikulierend auf und ab.

"Und dann das scheiß Studium. Ich schaffe das nicht. Ich kenne zu wenig Leute. Ständig hocke ich in dieser dreckigen Wohnung und starre die Wände an. Ich kann nicht mehr."

Robert öffnete ein Fenster neben der Spüle und lehnte sich hinaus, seine Hände krallten sich um den Fensterrahmen. Daniel blickte verlegen auf das Geschenk. So kannte er Robert nicht, er hatte ihn immer für selbstsicher gehalten. Was sollte er machen? Auf den Bahngeleisen, die unter dem Fenster vorüber liefen, fuhr ein Güterzug vorbei. Die Waggons polterten, die Räder quietschten auf den Schienen. Plötzlich wusste Daniel, was er tun sollte: Robert in den Armen nehmen und ihn fest drücken, genau das brauchte der Freund jetzt. Die Erkenntnis war ihm so plötzlich gekommen wie am Nachmittag die Lösung für die Übungsaufgaben. Daniel stand auf, um zu Robert gehen, und bekam Zweifel, ob der Freund die Geste verstehen oder sie falsch interpretieren würde. Der Güterzug entfernte sich, das Poltern und Rattern der Waggons verhallte, die Lokomotive stieß einen letzten Signalton aus, dann war es wieder still. Robert wandte sich um und blickte Daniel mit glasigen Augen an.

"Was ist?", fragte er und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht.

"Nichts, wieso?", antwortete Daniel und setzte sich wieder auf seinen Platz.

"Willst du ein Bier?"

20
Mrz
2010

Meine neue Droge

Bisher habe ich nur wenig Erfahrungen mit Drogen. Mein einziger Versuch Haschisch zu konsumieren liegt fast zehn Jahre zurück. Es war während des Geburtstages eines Freundes. Er hatte eine weitere Pizza in den Ofen geschoben und erklärt sie mit “Kräutern” bestreut zu haben. Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich begriff, welche Kräuter er meinte. Ich war neugierig auf ihre Wirkung, hatte nicht die geringste Vorstellung, auf was ich mich einließ. Ich rechnete mit wilden Sexorgien, Allmachtsfantasien, Flugversuchen aus der fünften Etage und weinerlichen Depressionsattacken. So richtig verstanden, warum Leute Drogen nehmen, habe ich eigentlich nie. Erst als ich mit Ende 20 meine erste Zigarette rauchte und dabei ein bis dahin unbekanntes Gefühl der Leichtigkeit in meinen Armen spürte, ahnte ich es.

Nachdem wir die Pizza endlich aus dem Ofen geholt hatten, schlangen wir die Stücke gierig herunter und warteten. Mir wurde erklärte, die Wirkung würde schnell und abrupt einsetzen. Ich schaute in die Runde der Anfang Dreißigjährigen. Einige hatten schon Kinder, arbeiten nach Abschluss des Studiums seit ein paar Jahren oder standen mitten in ihrer Promotion. Wer würde zuerst einen glasigen Blick bekommen, aus unerklärlichen Gründen kichern oder schwermütig werden, sich aus dem Fenster stürzen wollen, weil er überzeugt war, fliegen zu können? Was würde ich spüren?

Wir warteten eine Stunde, wir warteten zwei Stunden. Wir hatten längst die nächste Pizza ohne Kräuter verzehrt, wir tranken Bier und Wein, aber die Kräuter wollten nicht wirken. Es herrschte allgemeine Ratlosigkeit, was wir falsch gemacht hatten. Die anwesenden Experten vermuteten, dass das Backen der Kräuter auf der Pizza die Stoffe, auf deren Wirkung wir gehofft hatten, geschädigt hatte. Aber eine genaue Erklärung wurde nie gefunden.

Meine neue Droge heißt Tolperisonhydrochlorid, das ist der Wirkstoff von Viveo, ein relativ neues Antispastikum, das im Gegensatz zu älteren Medikamenten dieser Art einen nicht müde macht. Als meine Neurologin es mir vor zwei Wochen verschrieb, fragte ich sie, wann ich mit der Wirkung rechnen könne, und war ziemlich erstaunt, als sie mir erklärte, dass es sofort wirke. Ich hatte erwartet, dass sich die Wirkung frühestens nach einigen Tagen einstellen würde. Sie riet mir die erste Dosis am Wochenende zu nehmen, um mich an die Wirkung zu gewöhnen. Ich sollte mich auf Muskelschwächung und Unsicherheit beim Gehen einstellen. Am besten wäre es, wenn jemand in der Nähe wäre, um mich notfalls zu stützen. Mit Antispastik-Medikamenten habe ich bisher keine Erfahrungen, weiß von meiner Neurologin nur, dass sie für gewöhnlich müde machen, so als hätte man die Nacht zuvor nicht geschlafen. Ich hatte also keine Ahnung, wie meine neue Droge wirken wird. Ich nahm die erste Tablette am Freitagabend nach dem Termin bei der Neurologin und wartete.

Ein Freud fragte mich einmal, dass er sich nicht vorstellen könne, wie sich eine Spastik anfühlt. Obwohl ich seit fast 40 Jahren mit einer Spastik in den Beinen lebe, viel es mir schwer, es ihm zu erklären, weil ich den Unterschied nicht kenne. Wenn ich im Fitness-Studio trainiere, bin ich immer wieder erstaunt, was manche mit ihren Beinen anstellen. Sie sitzen aufrecht im Langsitz und spreizen die Beine locker 90 Grad und mehr auseinander, manche schaffen sogar den Spagat und berühren dabei ihre Fußspitzen mit den Fingern. Ich bin froh, wenn ich mein rechtes Bein 10 Grad zur Seite spreizen kann. Um in den Langsitz zu kommen und meine Beine zu strecken, brauche ich fünf Minuten und eine Wand, gegen die ich mich lehnen kann. Im Fitness-Studio stehen Leute auf dem linken Bein, stützen sich locker mit einer Hand an der Wand und ziehen mit der anderen das rechte Bein fast bis zur Stirn. Für ich ist das Magie.

Man nimmt Drogen, weil man fliegen möchte, obwohl die Flügel am Boden kleben, weil man rennen möchte, obwohl man keine Ahnung hat, welches Ziel man erreichen will, weil man gehen möchte, obwohl die Füße schmerzen. Seit zwei Wochen nehme ich meine Droge und warte auf meinen Rausch.

13
Mrz
2010

Liebes Universum

Es ist etwas ungewohnt Dir zu schreiben, um Dich um etwas zu bitten. Ich bin ja selbst ein Teil von Dir, wenn auch nur ein verschwindend kleiner. Wahrscheinlich bin ich verglichen mit Dir weniger als ein Atom im Vergleich zur Milchstraße. Bestimmt warten andere Wesen auf mir unbekannten Planeten in weit entfernten Galaxien auch auf ihre Bestellung. Du hast viel zu tun, das verstehe ich, weil Du den ganzen Laden allein organisieren musst: Dunkle Materie, schwarze Löcher, supersymmetrische Strings. Ich staune, wie Du das alles schaffst. Ich hätte längst den Überblick verloren.

Seit einigen Jahren gibt es hier bei uns auf der Erde die Möglichkeit, Bestellungen an Dich zu schicken. So vermessen bin ich nicht. Bestellung: Das klingt so fordernd. Ich bin bescheiden: Ich bitte Dich. Zwar habe ich keine Ahnung, wie und ob meine Bitte Dich erreicht. Hast Du ein Postfach auf irgendeinem Kometen weit draußen im All? Oder muss ich meine Bitte trommeln oder Rauchzeichen geben? Hast Du einen Briefkasten? Eine Emailadressen? So was hat ja inzwischen fast jeder hier unten. Nun, ja, nicht jeder, nur diejenigen, die das Glück haben in einer Gegend zu wohnen, in der sich Menschen Computer leisten können und die Infrastruktur gut entwickelt ist. Das ist nur eine verhältnismäßig kleiner Teil der Erdbevölkerung. Die meisten leben in viel erbärmlicheren Umständen. Wenn die hören könnten, was ich mir von Dir erbitte, würden die sicher mit dem Kopf schütteln. Kann die sich nicht etwas wirklich Wichtiges wünschen, wenn sie schon an das Universum schreibt: Vielleicht Frieden auf Erden oder genug zu Essen und Wasser für alle. Aber wem erzähle ich das? Du weist ja selbst, was für ein Chaos hier unten herrscht.

Heute bin ich egoistisch. Ein Mensch kann unmöglich immer an das große Ganze, an das Wohl aller denken. Manchmal muss er auch an sich selbst denken. Und außerdem bin ich mit meinem Wunsch nicht allein. Die meisten Leute aus meiner Straße, meine Freunde und Arbeitskollegen würde die selbe Bestellung aufgeben. Die wenigsten würden so bescheiden und unterwürfig auftreten wie ich jetzt. Die meisten würde offen ihren Unmut bekunden. Wenn sie glaubten, dass es etwas nütze, würden sie streiken. In Aachen würden keine Busse mehr fahren, es gäbe keine Zeitungen mehr und das Internet könnte kollabieren. Willst Du das wirklich?

Hier ist also meine Bitte: Mach dass es Frühling wird. Ich mag Schnee. Vielleicht dachtest Du, wir würden Schlittenfahrten und Schneemänner vermissen, und hast uns deshalb einen extra langen Winter beschert. Sozusagen als Ausgleich für die ungemütlichen Winter der vergangenen Jahre. Ich habe mich auch wirklich sehr über den Schnee gefreut, ihn genossen und bestaunt. Aber irgendwann reicht es.

Mir reicht es!

Uns allen hier reicht es!

Entschuldige, wenn ich etwas laut werde, ich wollte Dich nicht verärgern, liebes Universum, es ist mir nur so raus gerutscht. Ich bin nur etwas ungeduldig. Ich habe keine Lust mehr auf glatte Straßen. Ich will morgens nicht mehr Autoscheiben frei kratzen oder Schnee schieben müssen. Ich will nicht mehr auf dem Fahrrad frieren, wenn ich zur Arbeit fahre. Ich will mir keine Wärmflaschen mehr ins Bett legen, weil ich so kalte Füße habe.

Ich will meinen Wintermantel in Schranken hängen und Blumen in meinem Garten sprießen sehen.

Bitte, liebes Universum: Frühling!

Bitte! Bitte! Bitte!

21
Feb
2010

Ein Geständnis

Eigentlich ist es mir peinlich darüber zu schreiben. Noch vor zwei Wochen hätte ich nicht gedacht, dass ich von diesem Virus infeziert werde. Heute Abend wollte ich eigentlich lesen, stattdessen habe ich im Internet nach einer Möglichkeit gesucht, wie ich es doch noch gucken kann. Ich habe keinen Kabelanschluss. In meinem Fernseher kann ich nur zwölf Programme sehen, nur die öffentlichrechtlichen, die ich hier in Aachen über DVBT empfangen kann. Bisher haben mir diese wenigen Kanäle vollkommen gereicht. Selbst von diesem Dutzend dienen einige nur zum Durchzappen. Bei NDR3, SWF3, Kinderkanal/ZDF neo bleibe ich nur selten hängen. Bisher vermisste ich RTL, Sat1, Pro7 nicht. Wenn ich einen aktuellen Spielfilme gucken willen, leihe ich ihn mir auf DVD aus. Von Werbung unterbrochene Filme finde ich furchtbar. Auf die privaten Sender habe ich eigentlich mit Verachtung herabgeschaut: Unterschichtenfernsehen, anspruchslos und quotengeil, das waren meine üblichen Gedanken zu diesen Programmen.

Seit letzter Woche hat sich das zwar nicht vollkommen, aber doch ein wenig geändert. Wegen Karneval, diesem seltsam Brauchtum des Rheinlandes, mit dem ich mich in den 20 Jahren, die ich in Aachen lebe, nie anfreunden konnte, floh ich zu meinen Eltern. Meine Schwester nutze die Gelegenheit ebenfalls, so dass wir am Freitag gemeinsam im Zug Richtung Südniedersachsen fuhren.

Am Samstag saß ich dann mit meiner Familie vorm Fernsehe. Ich hätte mich in mein altes Zimmer zurück ziehen können, um zu lesen oder sogar zu schreiben. Aber wer will sich schon von der Familie absondern, wenn man die Eltern nur drei bis vier mal pro Jahr besucht. Auf keinem Kanal kam ein interessanter Spielfilm, ARD oder ZDF übertrug eine Karnevalssitzung. Also was hätten wir anderes gucken können? Wenn meine Schwester nicht dabei gewesen wäre, hätte ich mit meinen Eltern sicher Karneval geguckt und tapfer zwei Stunden ausgeharrt. Wer weiß, was letzte Woche begann, wird vielleicht erraten, nach welcher Möglichkeit ich heute gesucht habe, nämlich irgendwie doch die Fortsetzung von etwas zu sehen, dass ich in den letzten fünf Jahren ignorierte und eher mit dem ratlosen Kopfschütteln eines Intellektuellen kommentierte. Was gucken die Leute nicht für einen Scheiß! Was ist das nicht für ein blöder Typ! Aber ich bin keine Intellektuelle, ich will es auch gar nicht sein. Ich habe keine Lust nur schwarze Klamotten zu tragen.

Also kann ich es jetzt endlich gestehen: Am besten gefielen mir heute Abend Kim, Manuel und Mehrzad. Am meisten überraschte mich Marcel, dessen Ritt auf der Kuh von letzter Woche ich so peinlich und schlecht fand, dass ich heute noch nicht verstehe, wie er es unter die ersten zehn schaffte. Seine Interpretation des Sportfreunde Stiller Hits hatte was, wenn mich auch seine Stimme nicht überzeugte.
Die angenehmste Überraschung letzte Woche war Dieter Bohlen. Ich mag seine Musik nicht. Und ich mag ihn selbst auch nicht. Ein Proll, ein Wichtigtuer. Aber seine Kommentare waren, fundiert, auch wenn er sie auf seine spezielle Art formulierte.

Ich habe mir jetzt sogar die DSDS App auf mein iPhone geladen und darauf die Bekanntgabe des Voting geguckt, an dem ich letzte Woche sogar mit zwei SMS für Mehrzahd und Menowin teilgenommen habe.

Seit Wochen habe ich überlegt, dass ich mal wieder einen Beitrag für meinen Weblog schreiben sollte. Und nun schreibe ich tatsächlich über DSDS, wie ist mir das peinlich. Aber ich habe mit ihnen gefiebert. Ich wollte sie hören und sehen, wissen, wer es in die nächste Runde schafft. Wahrscheinlich werde ich auch die nächsten Wochen gucken. So ist das eben mit einer Infektion. Man weiß vorher nicht, ob einen die Keime krank machen oder man genug Antikörper hat. Drei Tage kommt der Schnupfen, drei Tage bleibt er, drei Tage geht.

Hätte man mir das alles vor zwei Wochen prophezeit, ich hätte mit einem intellektuellen Kopfschütteln geantwortet.

25
Sep
2009

Die richtige Einstellung

Ob der Tag nun schon fast vorüber ist? Ich habe gerade geduscht, mich angezogen, noch nicht gefrühstückt. Die Kaffeemaschine hat mir einen starken Muntermacher gebraut, im Schrank wartete das Müsli auf die Birne, die ich hinein schnipseln werde. Ich bin noch nicht zwei Stunden wache und frage mich, ob der Tag schon gelaufen ist?

Ein Profigospieler antwortete einmal auf die Frage, mit welchem Zug er die Partie verloren hätte: Mit dem ersten. Auf den ersten Blick ist das ein sonderbare Antwort. Beim Go ist das Brett vor dem ersten Zug leer. Anders als beim Schach, bei dem sich zu Beginn einer Partie die schwarzen und weißen Figuren gegenüberstehen, gibt es beim Go keine vergleichbare Ausgangssituation. Zu Beginn einer Gopartie existiert die Welt nicht. Das leere Brett ist das Nirvana, das die Spieler mit ihren Steinen füllen. Wie kann dann der erste Zug der Verlust der Partie bedeuten? Es gibt beim Go durchaus Züge, die ein erfahrener Spieler als ersten Zug nicht machen würde, weil sie ihn von Beginn an in eine defensive Position bringen oder dem Gegner es zu leicht machen eine gute Antwort zu finden. Ein Profispieler macht solche Züge nicht, erst recht nicht in einem Kampf um einen wichtigen Titel. Es ist daher schwer vorstellbar, wieso der erste Zug verlieren kann?

Bei Tic-Tac-To leuchtet es jedem ein, dass er das Spiel mit dem ersten Zug verlieren. Hat man ein paar Partie Tic-Tac-Toe gespielt, weiß man, dass man das erste Kreuz in das mittlere Feld setzen muss. Dann kann man gar nicht mehr verlieren. Allerdings ist das Spielfeld bei Tic-Tac-Toe sehr klein. Es hat nur neun Felder. Das Gobrett hat 361 Punkte ist also ziemlich genau 40 Mal so groß. Genug Möglichkeiten also einen Fehler im ersten Zug mit dem zweiten Stein wieder gut zu machen.

Der Profispieler kann also nicht den Zug an sich gemeint haben, wenn er sagt er, er hätte die Partie mit dem ersten Zug verloren. Er meinte die Einstellung, mit der er den ersten Zug machte. Sie war falsch. Er hatte einen falschen Plan für den Verlauft der Partie im Kopf. Er war zu angespannt, vielleicht übermotiviert, weil er unbedingt gewinnen wollte, vielleicht zu arrogant gegenüber seinem Gegner, weil er alle bis bisherigen Partien des Titelkampfes gewonnen hatte. Vielleicht hatte er auch einfach keine Lust Go zu spielen, wäre viel lieber spazieren gegangen. Oder er hatte Zahnschmerzen.

Ich esse jetzt mein Müsli, trinke zwei Tassen Kaffee, lese in der ZEIT, dann komme ich wieder hierher, um an meinem Roman zu schreiben, und hoffe, dass ich die richtige Einstellung habe, damit der Tag nicht wieder verloren geht.

21
Sep
2009

Was macht Dich glücklich?

Auf dieses Thema bin ich in den Blogs von Wally und MaMü gestoßen. Sie hatten da wieder eines von diesen Blog-Stöckchen rumliegen. Zumindest Wally hat wahrscheinlich gehoft, dass ich drüber stolpere und es für sie wegräume. Warum muss eigentlich immer ich das Internet aufräumen? Nehmt Euch ein Beispiel an meinem Blog: Da liegt nichts rum, nur alle paar Monate ein Text - ja, ja, schon gut, ich lass hier zu selten ein Zettelchen fallen, ich weiß. Die ersten dieser Bloggerstöckchen reizten mich zum Schreiben. Dann stieß mein Fuß gegen einige, die ich langweilig fand, und nun finde ich die meisten eher nervig.

Ich will deshalb jetzt auch gar nicht auf dieses Nenne-10-Dinge-die-dich-glücklich-machen Stöckchen antworten. Ich denke über diese Frage nach: Was macht Dich glücklich? Je länger ich die Wörter in meinem Kopf kreisen lasse desto trauriger kommen sie mir vor.

Nehmen wir zuerst das Verb “machen”. In der Frage bedeutet es “einen Zustand herbeiführen, den es vorher nicht gab”. Glücklich ist man also nicht einfach so sondern nur als Folge von etwas anderem. Das Subjekt der Frage ist “Was” nicht “ich”. Aber es geht doch um mich. Also mache ich nicht glücklich, zumindest nicht mich, vielleicht jemand anders, aber nicht mich, das kann nur: Was? “Glücklich sein” wäre damit etwas erlittenes, das einem widerfährt, ob man will oder nicht: Ein schwerer Unfall in der Kindheit, bei dem man fast gestorben wäre? Isolation in der Pubertät, weil man sich zurück zieht und an sich zweifelt? Ungünstige Charaktereigenschaft, für die man getadelt wird die man aber auch nicht einfach ablegen kann? Ein falsches Geschlecht, weil man von einem anderen träumt?

Und wenn “was” nicht mehr da ist? Wenn es vorüber, aufgebraucht oder gegangen ist? Wenn das Schokoladeneis geschmolzen ist? Wenn im Kino der Abspann des besten Filmes aller Zeit läuft? Wenn die Musiker nach einem Konzert die Bühne verlassen? Wenn man ein gutes Buch zuschlägt? Wenn man sich von der besten Freundin nach einem tiefen Gespräch verabschiedet? Wenn man Freunde nach einem gemütlichen Abend zur Tür geleitet? Wenn der Geliebte morgends aus dem Bett steigt? Wenn sein Geruch verdunstet ist? Wenn man abends wieder nach sich selbst stinkt? Wenn er eine andere liebt? Wenn jemand die Katzen vergiftet? Wenn die Schwester stirbt?

Am meisten irritiert mich an dieser Frage, dass sie eine beschränkte Dauer unterstellt. Nach dem “was” fällt man zurück in einen anderen Zustand: Unglück oder Alltagsbrei. Ich weiß, dass sehr viele, wahrscheinlich die meisten Menschen, sehr unglücklich sind, weil ihnen etwas Wichtiges fehlt: Wasser. Nahrung. Heimat. Freunde. Geld. Arbeit.

Ich bin glücklich. Ich weiß nicht warum. Wie viele Jahre habe ich noch? In zweieinhalb Jahren ist mein Geld aufgebraucht und mein Arbeitsvertrag endet. Wenn ich keinen Job finde, werde ich als Hartz-IV-Empfängerin glücklich sein? Wenn kein Verlag meinen Roman drucken will, werde ich als gescheiterte Autorin glücklich sein? Selbst wenn das alles positiv verläuft, wird sich eines negativ entwickeln: Meine Behinderung. Ich werde Schmerzen haben. Ich werde künstliche Knie- und Hüftgelenke benötigen. Werde ich dann noch glücklich sein? Wird mir die Erinnerung an mein jetziges Glück reichen?

Zum Glück weiß ich das alles nicht. Wahrscheinlich macht mich gerade das glücklich.

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