Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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13
Mai
2010

Mathematik ist einfach

Daniel überflog die Lösung der Übungsaufgaben für die Algebravorlesung. Stundenlang hatte er darüber gebrütet, bis er endlich einen Geistesblitz gehabt hatte. Eigentlich war Mathematik ganz einfach: Mit der richtigen Idee ergab sich der Rest von allein und man musste die Lösung nur noch aufschreiben. Er heftete die Zettel ab. Jetzt konnte er doch zu Roberts Geburtstagsparty gehen.  Er steckte das Geschenk für den Freund in seinen Rucksack und machte sich auf den Weg. Er freute sich Robert wiederzusehen. Zuletzt hatten sie sich während der Semesterferien getroffen. Er schlenderte durch den lauen Spätsommerabend und pfiff und summte vergnügt. Eine halbe Stunde später klingelte er bei Robert. Kurz darauf hörte er, wie jemand durch das Treppenhaus herunter rannte, dann öffnete Robert die Tür.

"Ach, hallo Daniel!", schnaufte er. "Blöder Türöffner! Seit Wochen ist der nun kaputt!"

Er drehte sich um und schlurfte mit hängenden Schultern zu den Treppen.

"Hallo, Robert! Wie geht's?", fragte Daniel und wunderte sich über die unfreundliche Begrüßung. "Warum warst du bisher nicht in den Vorlesungen?"

"Ach, ich weiß nicht, keine Lust, mir ging es nicht so gut", wich der Freund aus.

Als die beiden die erste Etage erreichten, klingelte in einer der oberen Wohnungen ein Telefon.

"Das ist meines", Robert schien froh, das Gespräch beenden zu können, und lief voraus. Daniel trottete hinterher. Sein Blick wanderte über die mit Graffitti beschmierten Wände. Unter seinen Schritten ächzten den Dielen.  Wie konnte sich Robert in diesem heruntergekommenen Haus nur wohl fühlen? Als er die Küche des Freundes betrat, sah er ihn im Nebenzimmer telefonieren.

"Ja, schade, dass du nicht kommen kannst", sagte Robert in den Hörer, "bis demnächst, tschüß!"

Das Gespräch schien beendet, aber Robert hielt den Hörer noch ein paar Sekunden an sein Ohr, dann legte er ihn langsam auf den Schreibtisch und stützte sich mit beiden Armen ab.

"Scheiße! Scheiße!", flüsterte er so leise, dass sich Daniel nicht einmal sicher war, ob er sich verhört hatte. Er legte seinen Rucksack neben dem Esstisch ab und zog das Geschenk für Robert heraus. Auf dem Küchentisch waren einige Schälchen mit Käse, Tomaten, Champignons und Mais hergerichtet. Davor lag auf einem Holzbrett eine angeschnittene Zwiebel.

Robert kam aus dem anderen Zimmer zurück. Als er durch die Tür ging, schlug er mit einer Faust gegen den Rahmen. Er setzte sich Daniel gegenüber auf einen Stuhl und schnitt die Zwiebel in kleine Würfel. Ab und zu rieb er sich mit einer Hand die Augen.

"Noch eine Absage!", murmelte er, zerhackte die Zwiebel zu einem Brei und deutete auf die Schälchen. "Ich dachte, ich bereite Baguettes vor, die sich jeder selbst belegen kann"

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

"Robert! Was ist denn los?"

"Ich habe Geburtstag!"

"Ja, und?"

"Außer dir haben alle abgesagt. Das ist kein Geburtstag".

Robert stand auf und ging gestikulierend auf und ab.

"Und dann das scheiß Studium. Ich schaffe das nicht. Ich kenne zu wenig Leute. Ständig hocke ich in dieser dreckigen Wohnung und starre die Wände an. Ich kann nicht mehr."

Robert öffnete ein Fenster neben der Spüle und lehnte sich hinaus, seine Hände krallten sich um den Fensterrahmen. Daniel blickte verlegen auf das Geschenk. So kannte er Robert nicht, er hatte ihn immer für selbstsicher gehalten. Was sollte er machen? Auf den Bahngeleisen, die unter dem Fenster vorüber liefen, fuhr ein Güterzug vorbei. Die Waggons polterten, die Räder quietschten auf den Schienen. Plötzlich wusste Daniel, was er tun sollte: Robert in den Armen nehmen und ihn fest drücken, genau das brauchte der Freund jetzt. Die Erkenntnis war ihm so plötzlich gekommen wie am Nachmittag die Lösung für die Übungsaufgaben. Daniel stand auf, um zu Robert gehen, und bekam Zweifel, ob der Freund die Geste verstehen oder sie falsch interpretieren würde. Der Güterzug entfernte sich, das Poltern und Rattern der Waggons verhallte, die Lokomotive stieß einen letzten Signalton aus, dann war es wieder still. Robert wandte sich um und blickte Daniel mit glasigen Augen an.

"Was ist?", fragte er und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht.

"Nichts, wieso?", antwortete Daniel und setzte sich wieder auf seinen Platz.

"Willst du ein Bier?"

schmelzpunkt - 30. Mai, 22:58

Erleben beim Lesen. Klasse!


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