Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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3
Jun
2007

Autonome

Eigentlich wollte ich jetzt einen Beitrag über "Eragon - Der Auftrag des Ältesten", den ich gestern Nacht begonnen hatte, beenden. Aber wen wird meine Meinung dazu interessieren angesichts der Straßenschlachten, die sich Autonome gestern mit der Polizei in Rostock lieferten. Ich hatte die Fortsetzung meines Beitrages schon im Kopf und wollte nur mal auf der Spiegel-Seite und bei n-tv nach sehen, was so in der Welt passiert ist, weil ich heute noch kein Radio gehört habe.

Dann diese Schlagzeile "Fast tausend Verletzte, Dutzende Festnahmen" und darunter das Foto eines jungen Mannes, Anfang 20, in schwarz gekleidet, dunkle Sonnenbrille, unter seiner Maskierung lodert sein orange gefärbtes Haar wie die Flammen auf dem Autowrack hinter, das er und seine Kumpanen anzündeten. Ob er stolz auf seine Leistung ist? Er droht mit der Faust in Richtung des Fotografen. Auf einem Bild der Fotostrecke zu dem Artikel streckt ein Typ, der sich von dem Kerl auf dem Titelfoto des Artikel nur durch eine dunkelrote Jacke unterscheidet, die Arme triumphierend nach oben, während im Hintergrund Stühle und Tische eines Straßencafes brennen. Ist auch er stolz auf seine Leistung?

Was war das gestern für eine schöner Tag sicher nicht nur hier in Aachen sondern auch in Rostock. Ich habe in meinen Garten gefrühstückt, bevor ich nach Köln fuhr. Als ich am späten Nachmittag in meinen Wagen stieg, um zurück nach Aachen zu fahren, war es im Innern so warm, dass ich fast schwitzte. Man hätte den ganzen Nachmittag in einem Straßencafe sitzen können, vielleicht in Rostock, und die friedlich vorüberziehenden Demonstranten beobachten könne. Zu diesem Zeitpunkt tobte in Rostock allerdings wahrscheinlich schon der Straßenkampf. Beim Frühstück hatte ich Interviews mit jungen Leuten gehört, die von Köln aus in der Nacht von Freitag auf Samstag mit einem Sonderzug nach Rostok fuhren, um sich an den Aktionen rund um den G8-Gipfel zu beteiligen. Sie zählten auf, was sie alles im Gepäck hätten: Kartenspielen, Jonglierbällen, Trillerpfeifen, Gitarren und was man noch so braucht für gute Laune und Stimmung zwischen den Demonstration und abends im Schlafsack. Ich musste schmunzeln und war auch ein bisschen schockiert: Es hörte sich als die Leute in Zeltlager fuhren.

Aus einem n-tv Video weiß ich, dass einige Autonome mit einem Sonderzug aus Hamburg anreisten. Was hatten sie im Rucksack? Klamotten zum Vermummen, Mundschütze, Steine, Wut, Gewalt und wahrscheinlich jede Menge Alkohol und Haschisch, schließlich muss man sich erst mal Mut ansaufenn, bevor man in die Schlacht zieht, man kann ja nicht ungedopt kämpfen. Soweit meine Klischeevorstellungen. Ich kenne keine Autonomen. Weshalb mir die Motive für solche Randalierer absolut schleierhaft sind. Bei einem bin ich mir aber sicher: politische Motive spielen keine Rolle. Politische Motive mögen vorgeschoben sein, aber der eigentliche Grund für die Gewalt ist: Die Lust an der Gewalt, der Rausch, den Gewalt in einem auslöst, das Gefühl mächtig zu sein, die Möglichkeit sich selbst und die eigene Wirkung auf die Umwelt endlich spüren, unmittelbar und hart den Schutzwall, den man mit Alkohol und Hasch um sich aufgeschichtet hat, durchbrechen, Zynismus und Abgestumpftheit niederreißen, um an der Welt da draußen teilzuhabne. Soviel zu meinem Klischee von Autonomen. Ich kenne keine Autonomen.

Ich bin wütend auf diese dämlichen, dummen Autonomen. Denn was haben sie mit ihrer Aktion erreicht? Dass die Polizei mit ihren überzogenen Sicherheitsvorkehrungen Recht hatte. Danke! Ihr Autonme! Das habt ihr super hingekriegt, eine echt intelligente Aktion war das!

30
Mai
2007

Zwei Tauben

Martha schnaubte, als sie den BMW sah, der an der schmallsten Stellen der Auffahrt zum Firmenparkplatz stand und den Zugang zum Gebäude versperrte. Sie bremste und fuhr langsam zu ihrem Parkplatz. Siekannte die genaue Typbezeichung des Wagens nicht. Aus dem Kennzeichen schloss sie, dass es sich um einen Firmawagen handelte, denn ihr Arbeitgeber hatte sich alle Kennzeichen mit einer bestimmter Buchstabenkombination reservieren lassen. Wieviel das wohl kostet hatte? Als ob die Firma nicht schon genung Geld zum Fenster hinauswarf. Der Fahrer des Wagens starrte geradeaus, als sie ihren Kleinwagen an der Nobellimousine vorbeisteuerte. In ihrem Nissan Micra als sie sich vor, als flöge sie mit einem Propellerflugzeug an einem Airbus 380 vorbei. Hoffentlich rammte sie den BMW, dachte sie, als der BMW an der Beifahrerseite vorüber glitt. Die Fahrer solcher Autos waren besonders empfindlich, wenn es um Kratzer im Lack ging, selbst wenn sie kaum breiter als ein Haar waren.

Matha kurbelte die Scheibe der Fahrertür herunter, um zu gucken, wie viel Platz sie zum Ausweichen hatte, und entdeckte eine Taube, die mit aufgeplustertem Gefieder kaum eine Schnabellänge entfernt auf dem Asphalt hockte. Die Farbe des Vogels ähnelte der Farbe des BMW. Im Nacken schimmerten die Feder in einem Blauton, der an die Farbe der Jacke des Fahrer erinnerte. Sie spähte über ihre Schulter zu dem Mann. der noch immer regungslos auf sein Lenkrad sass. Sie schmunzelte, wie sehr der Mann und die Taube einander ähnelten. Während sie ihren Wagen einparkte, stellte sie sich vor, wie zuerst die Taube aufflog und dann der BMW seine metallenen Flügel spannte, um dem Vogel zu folgen. Als sie sich an dem BMW vorbei zwängte, sah sie dem Fahrer für einen Moment in die Augen, sie musste sich auf die Zunge beißen, um nicht los zu prusten.

28
Mai
2007

Gemaltes Licht

Als ich die Ausstellung Gemaltes Licht der Stilleben des niedeländischen Malers Willem Kalf im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen betrat, war ich erst irritiert, denn die Kojen, in denen die Werke hängen, sind dunkel. Dezentes Licht bestrahlt die dunkelroten Wänder. Es stammt aus einer neuen Beleuchtungsanlage, die das Museum dank der Unterstützung durch Sponsoren der Ausstellung anschaffen konnte. Auch als ich einen ersten flüchtigen Blick über die bäuerlichen Interieurs in der ersten Koje, die allesamt in Brauntönen gehalten sind, warf, fragte ich mich: Das Licht - Wo ist denn nun das Licht? Als ich dann vor einer dieser Bauerstuben stand, begann ich zu verstehen, warum die Macher der Ausstellung diesen Titel gewählt hatten. Im Hintergrund stieg ein Mann eine Treppe, davor schöpfte eine Frau Wasser aus einme Brunnen, aber im Vordergrung lagen im grellen Licht Kürbisse, Kohlköpfe, Porreestangen und anderes Gemüse. Ein Besen lehnte an der Wand, daneben in der Dunkelheit ein Korb.

Es gibt viele Möglichkeiten Licht zu malen. Kalfs Methode besteht darin, Licht auf Geständen reflektieren zu lassen, die vor einem dunklen Hintergrund arrangiert sind.

waffen

Wie hier in diesem Bild. Es ist das größte der Ausstellung. Im Original misst es 200*170cm. Wie das Licht auf dem Schwert, der Rüstung und dem Schild glänzt, wie es in den Falten der Stoffenl leuchtet und an den Fransen entlang perlt. Aber obwohl in dem Stilleben großer Reichtum dargestellt wird, enthält es ein unscheinbares Detail, das man leicht übersieht. Ich nahm an einer Führung durch die Ausstellung teil. Die Kunsthistoriken, die die Bilder erläuterte, wies darauf hin.

waffen-delle

Es ist diese kleine Delle im Fussboden. "Warum hat er das Loch gemal?", fragte die Frau. "Er hätte den Boden ja auch unversehrt darstellen können". Mit dieser kleinen Beschädigung deutet Kalf die Vergänglichkeit des dargestellten Reichtums an. Es dieses "Memento mori!", dieses "Gedenke des Todes!" das in allen Bilder der Ausstellung mitschwingt: Teller, die am Tischrand stehen und gleich herunten zu fallen scheine, Gläser, die nich halbvoll sondern halbleer sind, und Brot, die angebissen sind.

hummer

Je länger ich dieses Bild betrachte, desto instabiler erscheint mir die Anordnung. Rutscht der Hummer nicht gerade von dem schräg liegenden Teller herunter? Und wird er dann nicht alles zu Boden reißen. Aber selbst, wenn er stabil liegt, genügte eine kleine Unachtsamkeit, damit der ganze Reichtum herunterfällt und zerschellt. Es müsste nur jemand aus Versehen den Tisch anrempeln.

Das spannende an den Bildern ist, dass den zeitgenössischen Betrachtern diese Deutung nicht erklärt werden, für sie war diese offensichtlich. Wenn wir modernen Menschen nicht auf diese Deutung hingewiesen werden, entdeckten wir sie nicht. Für uns wären die Bilder, dann vielleicht einfach nur hübsch anzusehen.

25
Mai
2007

Doping

Nun outen sie sich alle reihenweise: Gestern Erik Zabel und Rolf Aldag, heute Bjarne Riis. Ein Radsportprofi nach dem anderen gibt zu mit unerlaubten Mittel gedopt zu haben. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit ist groß. Alle fordern vollkommene Aufklärung, Bestraffung der Deliquenten und schärfere Überwachung der Sportler.

Als höchstens mäßg sportbegeisterte Bürgerin reibe ich mir verwundert die Augen. In was für einem Land leben wir eigentlich? All jene, die sich jetzt so über Doping im Leistungssport aufregen, sind das nicht auch genau diejenigen, die Sportler Versagen vorwerfen, wenn diese nicht als erste durchs Ziel fahren oder ganz oben auf dem Siegerpodest stehen? Die jetzt von Moral und Anstand im Sport reden, sind das nicht auch diejenigen, die nörgeln, wenn die Medaillienausbeute nach internationalen Meisterschaften oder olympischen Spielen nicht so hoch ist, wie sie es sich erhofften? Haben die wirklich geglaubt, dass Hochleistungssport, wie er seit Jahren von Reportern, Zuschauer und Funktionären bejubelt wird, ohne Doping möglich ist? Hat tatsächlich jemand geglaubt, dass Sportler dem Druck widerstehen können, der von der Öffentlichkeit und den Sponsoren auf sie ausgeübt wird, und nicht dopen?

Dass Doping seit Jahren im Radsport ein so weit verbreitetes Phänomen ist, liegt an den geradezu übermenschlichen Leistungen, die den Fahrern abverlangt werden. Man muss sich einmal vorstellen, wie z.B. die Tour de France abläuft. Vor einigen Jahren berichtete in der ZEIT ein Reporter von seinen Erfahrungen, als er versuchte eine der schweren Pyrenäen-Etappen. Es war eine einzige Qual für ihn, obwohl er die niedrigsten Übersetzungen wählte. Die Profis kurbeln sich mit viel höheren Übersetzungen die Steigungen hoch. Die Profis fahren an einem Tag eine Etappe, die bis zu 200km lang ist, quälen sich auf ihren hochgezüchteten Drahteseln die unglaublichsten Steigungen hoch. Wenn sie im Ziel ankommen, sind sie fertig, aber dann schlafen sie ein paar Stunden, und am nächsten Tag fahren sie die nächste Etappe. Was die Fahrer leisten ist unglaublich und sie verdienen dafür Respekt, egal, ob sie gedopt sind oder nicht. Ein Arbeitskollege, der selbst Radsportler ist, meinte zu der Leistung der Profis: "Das ist Radfahren von einem anderen Stern"

In einem Artikel auf der N-TV Seite las ich diesen Satz eines Anwaltes von Jan Ullrich: "Sie müssen begreifen, dass man über die Pyrenäen nicht mit 40 km/h fahren kann als Radfahrer, sie müssen begreifen, dass man 250 Kilo ohne Stimulanzen nicht hochheben kann."

Dies ist wahrscheinlich der einzige aufrichtige, nüchterne Satz, der in den letzten Wochen zum Thema Doping geschrieben wurde. Die einfache Erkenntnis lautet: Hochleistungssport ohne Doping gibt es nicht. Die Frage, die daraus folgt ist: Was ist eigentlich so schlimm an Doping? Wenn Doping Sportler zu den Leistungen befähigt, die wir alle von ihnen erwarten: Was spricht dann gegen Doping? Die einfache Antwort auf diese Frage ist: Nichts!

Die einzige ehrliche Art mit Doping umzugehen wäre, es uneingeschränkt zu erlauben. Jedem Sportler sollte es frei gestellt sein, welche Mittel und wie viel er davon nimmt. Wenn er wirklich nach Gold greifen will, muss er eben den Preis zahlen, eventuell seinen Körper zu ruinieren.

Und wir Zuschauer, welchen Preis hätten wir zu zahlen? Wir müssten mit dem schlechten Gewissen leben, einen Sport zu bejubeln, der nicht so rein und edel ist, wie wir ihn wünschen. Das ist der Preis, wenn gelten soll: "Höher! Schneller! Weiter!"

21
Mai
2007

Eine Katastrophe?

Eigentlich wollte ich meinen nächsten Beitrag hier zu einem anderen Thema schreiben. Letzte Woche habe ich "Spider-Man 3", dazu wollte ich etwas schreiben. Oder dazu, wie ich in der 7. oder 8. Klasse meine erste große Liebe entdeckte. Damit jetzt niemand etwas falsches denkt: Meine erste große Liebe war kein Mensch, noch nicht einmal ein Lebewesen. Aber darüber will ich jetzt nicht schreiben.

Ich will über die Katastrophe schreiben, die sich am Sonntagnachmittag ereignete.

Gerade habe ich den Satz geschrieben, schon muss ich ihn revidieren: Die Katastrophe ereignete sich nicht am Sonntag. Ich weiß nicht, wann genau es geschah, aber entdeckt habe ich sie am Sonntagnachmittag. Ich vermute, dass es während meines Umzuges passierte oder als ich vor ein paar Wochen Altpapier in einen Container warf.

Ich hatte mich am Sonntag so darauf gefreut: Ich wollte endlich eine Geschichte schreiben, die mir schon länger durch den Kopf ging. Sie beruht auf einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 2005. Ich setzte mich zwei alten Tagebücher in meinen Garten. Vor mir auf dem Tisch breitete ich ein Block aus. Oben auf das Blatt schrieb ich den Titel der Geschichte "Liegenbleiben". Dann blätterte ich in meinen Aufzeichnungen. Schnell fand ich den Eintrag und notierte mir das Datum, um ihn später leichter wieder zu finden. Aber die Szene, die ich in diesem Eintrag skizzierte war nicht komplett. Ich wusste, dass zu dieser alten Frau, die morgends in ihrem Bett aufwachten, noch mehr geschrieben hatte. Ich erinnerte mich sogar vage an weitere Formulierungen. Ich hatte gedacht, die Szene an einem Tag beschrieben zu haben, was offenbar ein Irrtum war. Kein Problem dachte ich, dann blätter ich eben weiter. Das Tagebuch, in dem ich diesen Beitrag geschrieben hatte, reichte bis Mitte Juli 2005, also musste das weitere, an das ich mich noch erinnerte, später geschrieben haben. Ich schlug das nächste Heft auf, aber der erste Eintrag darin datierte in den März 2006, also ein knappes dreiviertel Jahr nach dem letzten Eintrag aus dem ersten.

Vielleicht ahnt ihr schon, worin die Katastrophe besteht. Ich ging zu meinen Nachtschrank, in dem ich alle meine Tagebücher aufbewahre, um das zu holen, in welches ich von Juli 205 bis März 2006 schrieb. Ich fand es nicht: Es ist weg! Und mit ihm die Aufzeichnungen zu der Geschichte, die ich am Sonntag endlich schreiben wollte. Ich bin absolut sicher, dass ich von Juli 2005 bis März 2006 Tagebuch geführt habe, dass ich etwas darüber geschrieben habe, wie sie die alte Frau, während sie in ihrem Bett liegt, währen ihre Gelenke schmerzen, an ihren verstorbenen Mann dachte. Die Sätze schwebte zwischen dem Grab ihres Mannes und ihrem Bett. Als weg! Mist!

Ich weiß, dass ist sicherlich keine Katastrophe. Andere habe größere Probleme. Schalke ist nicht deutscher Fussballmeister geworden. In Afganisthan sind bei einem Bombenanschlag drei deutsche Soldaten ums Leben gekommen. In Afrika hungern die Menschen. Das Klima auf der Erde spielt verrückt. Die Buckelwale sterben aus, wahrscheinlich auch die Eisbären. In Japan schneidet ein sechzehnjähriger seiner Mutter den Kopf ab, trägt ihn in einer Plastiktüte durch Tokyo und übergibt ihn der Polizei. Das sind Katastrophen. Und ich lamentiere, weil ich ein Schreibheft verloren habe.

Eine Stunde durchsuchte ich am Sonntag meine Wohnung nach diesen blödem Heft.

Nun klafft eine Lücke in meinen Tagebuchaufzeichnungen, ein Teil meines Lebens ist verschwunden, was eigentlich nicht so schlimm wäre. Es gibt größere Lücken. Jahrelang führte ich kein Tagebuch, weil ich es irgendwann nicht mehr ertrug immer die gleichen Klagen auf die Seiten zu kritzeln. Aber der Zeitraum, den ich jetzt vermisse, umfasst die Monate vor meiner geschlechtsangleichenden Operation. Ich war damals sehr ruhig, ich zweifelte nicht an meiner Entscheidung für die Operation. Ich hatte keine Angst. Ich wartete auf Zweifel und Ängste. Obwohl ich mich nicht an tiefschürfende Gedannken aus dieser Zeit erinnere, hätte meine Aufzeichnungen von damals gern für später aufbewahrt.

Nun bleibt mir nichts, als mich zu ärgern: Über den Verlust dieser Gedanken und dieser wunderbaren Geschichte von dieser alten Frau.

13
Mai
2007

Der Fluch der goldenen Blume

Man cheng jin dai huang jin jia
Selten sehe ich einen Film im Kino, über den ich nicht schon etwas weiß. Meistens bin ich voreingenommen auf Grund von Aussagen von Freunden oder von Kritiken, die ich in einer Zeitung gelesen oder im Radio gehört. habe. Als mich am Freitag Oliver anrief, weil ich ihn auf seiner Mobilbox gefragt hatte, ob er "Spiderman 3" schon gesehen hätte, fragte er, ob ich heute (d.h. am Freitag) Zeit hätte ins Kino zu gehen. Er wollte unbedingt Der Fluch der goldenen Blume sehen, den neuen Film des chinesischen Regiesseurs Zhang Yimou, der auch die Martial Arts-Dramen Hero und House of Flying Daggers gedreht hatte. Beide Filme habe ich gesehen. "Hero" fand ich nicht so gut. Sicher ein Film mit farblich brilliant komponierten Bilder und furiosen Kampfszenen, allerdings fand ich die Story etwas flach und er kam mir damals auch wie ein Plagiat auf Crouching Tiger, Hidden Dragon vor. "House of Flying Daggers" habe ich leider nur einmal gesehen, der gefiel mir aber sehr gut. Als ich mit Oliver telefonierte, erinnerte ich mich an meine Eindrücke von "Hero" und "House of Flying Daggers". Oliver erzählte noch, dass "Der Fluch der goldenen Blume" farbenprächtige und grossartige Bilder haben sollte. Bis dahin hatte ich von dem Film noch nichts gehört. Nachdem ich im Netz recherchiert hatte, in welchem Kino er lief, beschlossen wir ihn zu gucken. Das war gegen 19:15, er sollte um 20 Uhr im Capitol gezeigt werden. Ich hatte endlich wieder das Privileg, einen Film selbst entdecken zu können.

"Der Fluch der goldenen Blume" handelt im 10. Jahrhundert n. Chr. zur Zeit der Tang-Dynastie in China. Er beginnt mit der Rückkehr des Kaisers und seines zweiten Sohnes, des Prinzen Jie, an den Hof in Peking. Der Kaiser will in seiner Residenz das Chong Yang Fest feiern. Während seiner Abwesenheit entwickelte sich zwischen seinem Erstgeborenen, dem Kronprinz Xiang, und seiner zweiten Frau ein heimliches Verhältnis. Der Kaiser hatte vor Jahren die Mutter seines ersten Sohnes verstoßen, um die jetzige Kaiserin zu heiraten. Er weiß von diesem Verhältnis und hat seinen Arzt beauftragt, die Kaiserin durch eine Veränderung in der Rezeptur eines Medikamentes, das sie seit Jahren täglich nimmt, langsam zu vergiften. Die Tochter des Arztes und der ungeliebte dritte Sohn, Prinz Cheng, haben ebenfalls ein Verhältnis. Aus dieser Ausgangssituation heraus entfalten sich Intrigen und Machtkämpfe, die in einem Aufstand der Kaiserin gegen ihren Gatten und einer Schlacht auf einem Platz in der verbotenen Stadt gipfeln.

Der Film beginnt sehr ruhig, fast statisch, die Figuren bewegen sich durch den kaiserlichen Palast, der mit prachtvollen Teppichen und Behängen aus rotgolden leuchtenden Stoffen aus gestattet ist. Es regiert die Hofzeremonie. Obwohl die Kaiserin die Wirkung des Giftes spürt, bewahrt sie die Fassung und den äußeren Schein, stets ist sie geschminkt und trägt eine aufwändige Frisur. Langsam bröckelt die Fassade und die Gefühlsregungen der Figuren treten hervor. Als die Situation eskalliert tritt die Kaiserin fast von einer Einstellung zur nächsten ungeschminkt auf. Die erste Hälfte ist handlungsarm. Man hat eher den Eindruch einer kammerspielartigen Studie über Macht. Bis auf wenige Ausnahmen spielt der Film ausschließlich innerhalb des Palastes. Das Volk spielt im gesamten Film eine unbedeutende Nebenrolle. Wenn es überhaupt auftaucht dann als anonyme Masse von Bediensteten oder Soldaten.

Ab der Mitte des Films machte ich mir Gedanken, wie er zu interpretieren ist. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Regiesseur einfach nur eine spannende Geschichte erzählen wollte, dazu entdeckte ich zu viele Hinweise auf die gegenwärtige politische Situation in China, an die Unterdrückung der Demokratiebewegung und ganz besonders an das Tian'anmen-Massaker (Wikipedia).

Als Prinz Jie mit einem Heer, das die Kaiserin heimlich aufgestellt hat, den Palast stürmt, wird es von den Truppen des Kaiser, die den Aufständischen zahlenmäßig weit überlegen sind, umstellt und niedergemetzelt. Allein Prinz Jie überlebt Blut überströmt und wird verhaftet. Kaum ist die Schlacht zu Ende, verschwinden die kaiserlichen Truppen so plötzlich wie sie vorher auftauchten und Aufräumenarbeiter schwärmen über den Platz, um das Blut und die Leichenberge weg zu kehren und den Platz für das Chong Yang Fest wieder mit Chrysanthemen zu schmücken. Augenblicke später erinnert nichts mehr an das Blutbad und spätestens bei dieser Szene drängte sich mir der Bezug auf das Tian'anmen Massaker (gegen das Vergessen) auf.

Am Ende des Films stellt der Kaiser seinen Sohn zur Rede, den er am Anfang gemahnt hatte, dass Prinz Jie sich nichts nehmen solle, was er(der Kaiser) ihm nicht gebe. Er fordert von seinem Sohn Loyalität und, dass er darauf achtet, dass die Kaiserin ihre Medizin, die sie in den Wahnsinn treibt, nimmt. Für mich repräsentiert der Kaiser die kommunistische Partei Chinas und ihre Herrschaft über das Volk und das Gift, das die Kaiserin nimmt, ist die Propaganda der Partei. Und welches Fest will der Kaiser feiern? Als über dem Palast des Kaisers das Feuerwerk für das Chong Yang Fest leuchtet, musste ich unweigerlichen an die Feuerwerke denken, die 2008 während der olympischen Spiele in Peking über der verbotenen Stadt brennen werden. Prinz Jie widersetzt sich seinem Vater und tötet sich selbst mit einem Schwert. Alle drei Söhne des Kaiser sind tot. Ihr Blut besudelt die Vorhänge und Teppiche des kaiserlichen Palast, aber es fällt auf den prachtvollen roten Stoffen kaum auf.

Ich weiß nicht, ob meine Interpretation des Film mit den Intentionen des Regiessuers übereinstimmt. Ich wollte einfach die Gedanken beschreiben, die der Film in mir auslöste. Abgesehen davon ist "Der Fluch der goldenen Blume" ein beeindruckenes, bildgewaltiges Erlebnis.

26
Apr
2007

Ein altes Foto

Es ist immer wieder ein komisches Gefühl, wenn ich meine Eltern besuche. Zwischen deren und meinem Wohnort liegen ungefähr 360 Kilometer oder vier bis fünf Stunden Fahrt, je nachdem wie sehr ich rase und wie verstopft die Autobahnen sind. Dazwischen liegt aber noch viel mehr: mein Wechsel vom Mann zur Frau. Ein Besuch bei meinen Eltern ist eine Reise in die Vergangenheit. in ein anderes Leben, mein altes Leben. Mehr oder weniger ständig werde ich damit konfrontiert. So auch jetzt gerade in diesem Moment, da ich in meinem alten Jungendzimmer sitze, in dem jetzt der Schreibtisch meiner Mutter steht, und an ihrem Rechner diese Zeilen tippe. Neben dem Monitor steht ein Bilderahmen, in dem zwei Fotos stecken: eines von meiner Schwester und ein kleineres von meiner Schwester und - ich zögere, dieses Personalpronomen zu schreiben - mir. Auf dem Foto hockt ein ungefähr 26 jähriger Mathematikstudent vor meiner Schwester, sie hat beide Hände auf seine Schultern gelegt: Wir lächeln in die Kamera. Der Student trägt ein grüngemustertes Hemd, das einmal eines meiner Lieblingshemden war, und Hosenträger. Er hat die Haare zu einem Zopf zusammen gebunden. Als ich vorhin den Rechner anschaltete, fiel mein Blick auf dieses Foto. Ich nahm es vom Regal, um es nähern zu betrachten. Der Typ auf dem Foto, der ich selber einmal war, kommt mir seltsam fremd vor. War ich das wirklich einmal? Ja, das war ich. Ich kann mich erinnern, dass meine Schwester und ich das Bild damals kurz vor Weihnachten in der Wohnung machten, in der sie mit ihrem damaligen Freund wohnte. Wir schenkten es unseren Eltern zu Weihnachten. Als ich es eben in die Hände nahm, schoss mir spontan der Wunsch durch den Kopf diesen Typen aus dem Foto zu schneiden. Aber das geht natürlich nicht. Es hätte auch gar keinen Sinn, denn dann müsste ich ihn auch aus allen anderen Fotos, die bis vor vier Jahren von mir gemacht wurden, herausschneiden; ebenso aus meinen Erinnerungen, aus denen meiner Schwester, meiner Familie, meiner Freunde, eine so scharfe Schere werde ich nicht finden, ich suche auch gar nicht nacht ihr.

Morgen feiert mein Großvater seinen 80. Geburtstag. Es wird eine große Feier. Angeblich sollen bis zu 120 Personen eingeladen worden sein. Wieder so eine Reise in die Vergangenheit: Mein Großvater wird mich mit meinem alten Vornamen anreden, wie die meisten der eingeladenen Gäste auch.

20
Apr
2007

Weg mit ihm!

Noch hockt er bei mir in der Wohnung, schielt missmutig aus einer Ecke heraus zu mir auf mit aufgerissenem Gesicht. Ob er mir wütend ist? Ob er ahnt, dass ich mich von ihm trennen werde. Es ist noch nicht einmal seine Schuld. Sein rechteckiges Auge, das sein ganzes Gesicht ausfüllt, bleibt dunkel. Früher sah ich stundenlang durch sein Auge hinaus in die Welt, aber nun reizt mich sein Flimmern nicht mehr. Ich bin von ihm entwöhnt. Die Kur dauerte nur ein paar Wochen, in denen ich mir unsicher war, ob ich es nicht doch vermissen würde. Aber nun weiß ich es: Ich brauche ihn nicht mehr! Weg mit ihm!

Von wem ich rede? Von meinem Fernseher.

Als ich letztes Jahr in meine neue Wohnung zog, wusste ich, dass die Empfangsmöglichkeiten nur sehr begrenzt sind. Selbst mit einer Zimmerantenne empfange ich nur ARD, ZDF und WDR, aber auch nur mit so viel Rauschen, dass ich eigentlich sagen müsste: Ich empfange keine Programme. Anfangs hatte ich überlegt, einen Kabelanschluss zu mieten oder mir eine Satellitenschüssel zu kaufen, konnte mich aber nicht so recht aufraffen mich darum zu kümmern. Was hätte ich auch davon gehabt? Die Möglichkeit 40 Programme oder mehr empfangen zu können, von denen höchsten zehn ab und zu mal etwas sehenswürdiges senden, reizte mich nicht. Trotzdem behielt ich meinen Fernseher. Im Herbst soll in Aachen das digitale Fernsehen empfangen werden können. So lange wollte ich ursprünglich warten, um zu testen, ob sich meine Empfangsmöglichkeiten dadurch verbessern. Aber je länger mein Fernseher ungenutzt in der Ecke stand, desto mehr störte er mich.

Gestern habe ich ihn bei Ebay eingestellt. Weg mit ihm! Es reicht! Genug Zeit zum Schreiben, Lesen, Musik hören oder andere sinnvolle Tätigkeiten.

Fernsehen ist scheiße!

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