Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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17
Okt
2007

Ratten

Warum hatten sie sich gestritten? Nadine schaute zum Himmel, tiefblau hing er über ihr wie eine Kuppel. Die Sonne war schon hinter die schnee bedeckten Tannen gesunken, trotzdem blendeten sie die Strahlen, die durch die Zweige schienen. Frank, dachte Nadine. Nur dieser Gedanke war von dem Streit gestern Abend übrig geblieben. Wie er aus der Wohnung gestürmt war, mit Schweiß auf der Stirn. Ob er zurück kommt?

Über den Weg blies ihr ein frostiger Wind ins Gesicht. Die Spitzen der Tannen schwankten unschlüssig, raunten als wunderten sie sich über die Joggerin, die so spät am Nachmittag hier unterwegs war. Sie hielt an, zog die Fäustlinge aus und klemmte sie zwischen die Knie. Der Wind stach wie Reisszwecken in ihr Gesicht. Sie löste den Schal und wickelte ihn um Hals und Gesicht, schob sich die Pudelmütze tiefer in die Stirn. Ihr Atem trieb in Wolken davon. Sie überlegte umzukehren wegen der Kälte, aber die Luft war so rein und klar, der Wald so friedlich. Sie lief weiter, der Schnee knirschte unter ihren Sohlen. Sonst war es still. Die Stämme knarrten.

Hinter ihr krächze ein Vogel. Sie zuckte zusammen, drehte sich um. Eine Rabe flog über ihren Kopf hinweg und landete in einer Tanne, die alle ihre Nadel verloren hatte. Der Vogel krächzte aufgeregt, hinter der nächsten Kurve hörte sie mehr Stimmen. Der Rabe schien sie zu beobachten. Als sie weiterlief, schwang sich das Tier in die Luft und flog voran. Nadine starrte ihm hinterher. Als sie um die Ecke bog flog vor ihr ein Schwarm Raben auf, sechs, vielleicht auch mehr Vögel kreisten über ihrem Kopf. Sie mochte Raben, ihren rauhen Stimmen, die klangen als hätten sie zu viel Rotwein getrunken und zu viel Zigarren geraucht.

Beim nächsten Schritt knackte es unter ihrer Sohle: Sie hatte in tote Ratte getreten. Der Kadaver war unter ihrem Tritt aufgeplatz, Blut klebte an ihrem Schuh. Einen Moment drehte sie ihr Gesichtsfeld. Dann erst erschrak sie und machte einen Schritt zur Seite. Mit dem anderen Fuss tratt sie auf eine zweite Ratte, eine graubraun gescheckte, die erste war weiß gewesen. Sie schwankte. Der Weg vor ihr war übersät mit toten Ratten, graue Ratten, braune Ratten, weiße Ratten mit braunen Flecken, einige lagen flach auf dem Bauch, andere auf dem Rücken, auf der Seite, die Schwänze hatten sie wie Schwerter in den Schnee gestreckt oder um den Leib geschlungen. Einigen hatten die Raben den Bauch aufgepickt, Gedärme quollen heraus.

Nadine wich einige Schritte zurück, Mitleid und Ekel fesselten ihren Blick an das Leichenfeld. Sie hockte sich nieder, riss den Schal vom Hals und übergab sich in den Schnee. Dann schaute sie zurück auf die Ratten. Das nächste Tier vor trug ein rotes Halsband, an dem ein rundes Metallplättchen hing, worauf in schwarz die Nummer 37 stand. Auch die Ratte, die neben dieser lag, hatte ein Halsband wie ihre Nachbarin, das Plättchen zeigte die Nummer 12. Nadine wunderte sich über die Nummern. Sie stand auf und als brächte das Ordnung in ihre Verwirrung und vertriebe ihren Ekel, umrundete sie die Kadavar, zählte sie durch: Genau 50 Ratten, jede trug ein Halsband. Die Tiere schienen von eins bis fünfzig durchnummeriert.

Ein Rabe flog dicht über sie hinweg und krächzte wütend. Die Vögel kreisten über Nadine und kamen ihr immer näher. Erschrocken drehte sie sich um ging langsam den Weg zurück. Inzwischen war die Sonne untergegangen und Nadine konnte kaum den Boden zu ihren Füßen sehen. Hastig stolperte sie zurück zu ihrem Wagen. Sie mussten jemanden anrufen. Erst als sie den Parkplatz erreichte, zog sie ihr Handy aus der Hosentasche. Wen sollte sie Anruf? Die Ratten bedeuteten etwas? Sie mussten jemandem gehören, der sie entweder vermisste oder für ihren Tod verantwortlich war. Die Polizei musste sich darum kümmern, musste ermitteln und den Schuldigen verhaften. Nach dem Gespräch lehnte sie sich gegen ihren Golf. Scheinwerfenkegel huschten hinter über die Landstraße vorbei. Nadine fror, setzte sich aber nicht in den Wagen, sie fühlte sich einsam, dachte wieder an Frank: warum? Warum wollte sie in anrufen und von den Ratten erzählen? Würde das etwas ändern?
sarah.tegtmeier - 17. Okt, 22:57

Diesen Text habe ich zu Anfang meines Studiums bei der Schule des Schreibens geschrieben, er ist also schon zwei Jahre alt. Ich wollte eigentlich immer mehr daraus mach, eine Novelle oder Erzählung. Die Aufgabe war aus einer Zeitungsmeldung eine Geschichte zu schreiben. Der Text beruht auf einer Meldung, dass jemand im Wald auf einem Weg 50 tote Ratten gefunden hatte. Als ich das damals las, dachte ich sofort, das ist so ein starkes Bild, daraus musst du eine Geschichte machen.


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