Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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Schreibheimat
Gestern kam die neue Ausgabe der TextArt. Auch wenn...
sarah.tegtmeier - 1. Mär, 22:25

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Geschichten

30
Sep
2006

Ein größeres Büro

Manchmal hasste Clemens seinen Job. Auf dem Display seines Notebook flimmerte die Pressemitteilung, die er in ein paar Minuten per Mausclick abschicken würde. Automatisch ohne viel Anstrengung würde sie die Redaktionen der wichtigsten Wirtschaftsmagazine des Landes erreichen. Agenturen würden sie zitieren. Die nächsten Nachrichtensendungen würden einen Bericht darüber bringen. Ein einfacher Druck auf die rechte Maustaste - mehr brauchte er nicht zu tun - und wieder wären 3000 Arbeitsplätze vernichtet. Die gut informierten Kreise wussten natürlich seit Wochen, wenn nicht seit Monaten oder seitdem die Sache begonnen hatte Bescheid. Auch ihm selbst war von Anfang an klar worauf das Engagement der Asiaten hinauslaufen sollte. Wer den Braten hätte riechen wollen, der hätte den beißenden Gestank einer nüchternden Kalkulation in der Nase spüren können. Aber die meisten hatten sich ihren Nasen zu gehalten. Erst vor einer Woche hatte ihm ein Kolumnist einer Tageszeitung den Entwurf eines Kommentars gezeigt, den der Redakteur als Antwort auf die Pressemitteilung drucken wollte, die Clemens im Begriff war abzusenden.

"Wann lasst ihr die Sache raus", hatte der Journalist ihn gefragt und dabei dies Lechzen nach der Story in den Augen gehabt, die Gier nach einer ruchlosen Nachricht, die er und seine Kollegen mit zur Schau gestellter moralischer Entrüstung kommentieren würden.

"In ein paar Sekunden", murmelte Clemens. Sein Finger kreiste über dem Mausknopf. Um Moral ging es nie, selbst wenn auch seine Firma einen "Code of Conduct" hatte, in dem jeder Mitarbeiter auf ein bestimmtes moralisches Verhalten eingeschworen wurde. Alles nur ein Feigenblatt, mehr nicht. Er überflog die Argumente: Sinkende Absatzzahlen, enttäuschendes Weihnachtsgeschäft. Dabei hatte das Weihnachtsgeschäft noch gar nicht bekommen. Die Werbekampgen liefen gerade erst an. Von wem dieser Punkt kam wusste er nicht mehr. Es hatte lange Konferenzen gegeben, in denen Clemens mehrere Entwürfe der Presseerklärung vorgestellt hatte. Nach jeder hatte er anerkennende Blicke gespürt.

Er stand von seinem Schreibtisch auf, ging zu der Fensterfront seines Büros, von der aus er auf den Platz vor der Deutschland-Zentrale herunter blicken konnte. In ein paar Stunden würde es da unten von Reportern, Übertragungswagen und Mikrofonen wimmeln. Er würde sich durch kämpfen müssen und bohrende Fragen nach Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern des Unternehmens schössen aus den Mikrofon ihm entgegen, das war okay, das war sein Job, unter anderem dafür das auszuhalten, wurde er bezahlt.

Langsam neigte sich die Sonne über München dem Horizont zu, die Strahlen blendeten ihn, aus einer Hosentasche zog er sein Handy hervor, das beste und teuerste Modell das sein Unternehmen anzubieten hatte, ausgestattet mit allem erdenklichen Schnickschnack, und doch war es ein Ladenhüter, kaum jemand wollte damit telefonieren. Clemens wog das Gerät in der Hand. Würde er es kaufen, wenn er es bezahlen müsste, wenn es ihm nicht von der Firma gestellt würde. Diese Frage hatte er sich nie wirklich gestellt. Er drehte dem Fenster den Rücken zu und betrachtete seinen Schreibtisch, ließ den Blick von seinem Stuhl über das Gemälde eines bekannten bayrischen Malers streifen. Er mochte sein Büro. Alle seine Wünsche waren bei der Einrichtung des Raumes berücksichtigt wurden. Er nahm wieder in seinem Ledersessel Platz, wippte ein paar Mal mit der Lehne zurück, trommelte mit den Fingern auf der Glasplatte, während der Mauszeiger noch immer über dem Sendeknopf schwebte. Er hatte keine Wahl gehabt, oder doch? Sei's drum. Er schickte die Pressemitteilung ab.

Eines wusste er sicher: Sein nächstes Büro würde noch größer und noch teurer eingerichtet sein und wenn Glück hatte, läge es in Asien...

17
Sep
2006

Vorlagen

"Kann ich Ihnen helfen?"

Emma zuckte zusammen, als sie unvermittelt eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie mochte es nicht ungefragt berührt zu werden. Erst recht nicht von einer Verkäuferin, die ihre Tochter hätte sein können, oder nein ihre Enkelin, korrigierte sie ihren Gedanken, als sie dem jungen Ding in die Augen schaute.

"Haben Sie diese Bluse auch in Größe 44/46" Emma nahm eine rote Seidenbluse aus dem Regal, die ihr einigermaßen gut gefiel. Der Blick der Verkäüferin huschte an Emma herab, so rasch, dass er kaum wahrnehmbar war. Trotzdem war ihr nicht entgangen wie die Mundwinkel des Mädchens verächtlich nach unten zuckten. Dir können wir hier nicht helfen, sagte diese Mime aus, was an sich Emma nicht gestört hätte, aber es gefiel ihr nicht, wenn Verkäuferinnen sie duzten. Denn es gab diesen feinen Unterschied zwischen einem Gesicht, hinter dessen Stirn die Gedanken im höflichen "Sie" formuliert worden, und einem, das die Höflichkeit fallen ließ und das herablassende "du" benutzte.

"Da muss ich erst mal im Lager nach gucken"

Das junge Ding stakste nach hinten. Unter einem weißen Minirock wippten die Hüften. Emma wandte sich zu einem der Spiegel. die zwischen den Kleiderständern standen. So schlecht sah sieh heute wirklich nicht aus. Sie zupfte ein paar graue Strähnen zurecht und spürte in ihrer Blase ein leichtes Ziehen. Es war also wieder soweit. Die Boutique schien keine Kundentoilette zu haben, aber zum Glück ging es auch so.

"Tut mir leid. Die Bluse haben wir nur noch in 36 und 38"

Natürlich in welchen Größen auch sonst. Für manche Geschäfte schien geradezu unvollstellbar, dass auch etwas fülligere Kundinnen bei ihnen etwas kaufen wollte.

"Dann nehm ich sie in 36", entgegnete Emma.

Dann Blick der Verkäuferin weitete sich, als sei sie unsicher, ob sie richtig gehört hatte.

"Für meine Enkelin", fuhr Emma fort und ging voraus zur Kasse. Der Druck in ihrer Blase wurde stärker, wovon sie sich nicht irritieren ließ. Als die Verkäuferin die Bluse einpackte war es soweit. Emma machte sich in die Hose, pardon in die Vorlage, eine der segensreichsten Erfindungen. Sie lächelte die Verkäuferin an. Wenn du wüsstest, dass ich mir gerade in die Hose pinkle. Emma spürte wie es zwischen ihren Beinen warm wurde. Sie schämte sich nicht deswegen. Warum auch? War es nicht das natürlichste auf der Welt? Sie stellte sich vor, was für ein Theater das junge Ding machen würde, wenn sich in ihrem weißen Röckchen plötzlich ein gelber Fleck ausbreitete. Dann würde sie bestimmt nicht mehr so von oben auf Emma herabschauen.

"Vielen Dank für ihren Einkauf!"

Die Verkäuferin reichte Emma die Tüte. Die war doch nur froh, dass Emma endlich den Laden verließ. Aber auch die würde irgendwann in Emmas Alter kommen.

12
Sep
2006

Scheiterhaufen sind schön

"Hör auf! Hör auf", krächzte die heisere Stimme von unten herauf. "Ich kann dein Jammern nicht mehr ertragen!"

"Aber es tut heute ganz besonders weh!", brummte die Antwort von oben herab. "Diesmal ist ein schwerer Brocken, viel schwerer als die anderen zuvor."

"Die alte Leier", beklagte sich das Krächzen. "Jedes Mal sind sie schwerer als vorher. Ich kann es einfach nicht mehr hören. Wenn ich mir nur die Ohren zu halten könnte."

"Was hast du denn schon groß auszuhalten. Du liegst zwischen meinen Wurzeln und läßt es dir gut gehen." Es knarrte in der alten Eiche, als der Wind durch ihre Krone fuhr. "An mir zerrt das Gewicht, an mir, bei diesem Wetter könnte der Ast jeden Moment brechen."

"Und auf wen fällt er dann herab?", schrie der Stein. "Doch wohl auf mich."

"Niemand zwingt dich hier zu bleiben."

"Ich war zuerst da", beharrte der Stein. "Seit Äonen habe ich hier gelegen und hatte meinen Frieden. Bis du kamst."

"He, He, wir wollen doch bei der Wahrheit bleiben", unterbrach die Eiche. "Du warst doch froh, nicht mehr allein zu sein. Endlich jemand zum Reden, sagtest du, als ich mich neben dir niederließ."

"Anfangs warst du ja auch ein niedlicher Sprößling. Aber jetzt bist du ein solches Ungetüm, dass ich seit Jahren keine Sonne mehr abgekriegt habe. Im Herbst begräbst du mich unter deinem Laub. Und jetzt kommen auch noch alle paar Wochen die Leute aus der Stadt, um eine arme Seele über mir auf zu hängen."

"Du tust mir ja so leid. Als sie den Fettwanst vorhin auspeitschten und er hin und her baumelte, zog es dermaßen in meinem Stamm, dass ich mich fast nach einem Blitzschlag sehnte, der mich von meinen Qualen erlöst."

"Auf mich tropft jetzt sein Blut. In ein paar Tagen, wenn der Kerln anfängt zu verfaulen, wenn die Krähen an ihm nagen, dann fällt sein stinkendes Fleisch auf mich herab. Und ich kann mir noch nicht einmal die Nase zu halten."

"Warum streiten wir uns eigentlich jedes Mal wieder?", fragte die Eiche nachdenklich.

"Weil es widerlich ist Menschen auszupeitschen und in Bäumen aufzuhängen."

"Ja, du hast recht, widerlich und grausam", sinnierte der Baum. "Erinnerst du dich noch an Zeit, als sie Hexen auf Scheiternhaufen verbrannten?"

"Das waren noch Zeiten!", träumte der Stein. "Sie haben deine abgebrochenen Zweige von mir fortgeräumt und aufgeschichtet."

"Und wenn das Feuer so richtig loderter, dann wurde es im bittersten Winter warm auf unserem Hügel."

"Ja, Scheiterhaufen auf sind schön", bestätigte der Stein.

10
Sep
2006

Scherben

Durch die Milchglasscheiben des Cafes schleicht sich ein Lichtfleck herein, kriecht die Vorhänge herunter, baumelt in den Blätter der Pflanzen, stolpert vorbei an Marthas Michkaffee und fälll auf Steinfußboden, auf dem er zerschellt. Die Scherben flackern, tänzeln, als Martha ein Bein ausstreckt, um auszuprobieren, ob die glitzernden Flecken davon stieben, wenn sie in den Haufen hineintritt. Martha wartet, es passiert nichts, nur eine Kellnerin stößt mit einem Gast zusammen, der von seinem Platz aufspringt, als sie sich mit einem vollen Tablett hinter ihm zwischen den Stühlen durchschlängelt. Die Tasse und Gläser fallen herab, zerklirren auf dem Boden, Scherben flüchten unter die Tische. Währen Martha den Streit zwischen der Kellnerin und dem Mann beobachtet, rührt sie mit einem Löffel ihren Milchkaffee um. Noch eine Minute, dann darf sie ungeduldig werden; sie blickt zur Tür, aber er kommt nicht, sie vermeidet den Blick auf die Uhr, weil dann die Rechtfertigung für ihre langsam aufkeimende Wut zerbräche. Er könnte noch immer pünklich kommen. Die Zeit hat den Punkt, an dem Martha mit ihm verabredet ist, noch nicht erreicht; trotzdem knischern ihre Gedanken. Zu lang hat er sie immer wieder vertröstet, zu oft beteuert, wie wichtige ihm die Unterhaltungen mit ihr sind, zu oft ihr ihre Fehler vorgehalten, die es ihm schwer machten, die Freundschaft aufrechtzuhalten, und immer keine Konsequenzen gezogen. Die Unterhaltungen, wenn er sich mal wieder ausheulen will, ja dann ist sie gut genug. Als die Kellnerin plötzlich vor Martha steht und fragt, ob sie etwas wünsche, zuckt Martha ein wenig zusammen; sie rührt noch immer ihren Michkaffee um, obwohl der Mann längst bezahlt, die Scherben zusammen gefegt sind und ein anderes Grüppchen an dem Tisch des Mannes Platz genommen.

"Nein, nichts, danke", sagt Martha. "Oder halt, warten Sie! Einen Pflaumenkuchen mit Sahne, bitte."

Wenn er jetzt käme, wäre gerade fünft Minuten zu spät, da darf sie nicht auf ihn wütend sein. Erst wenn sie ihre Bestellung bekommen hat und die letzten Reste Sahne und Krümel zusammen gekratzt hat, darf sie wütend sein. Sie schaut zur Tür.

1
Sep
2006

Können Fische telefonieren?

"Was meinst du, Ala", Joachim zeigte auf die Telefonzelle, an der sie vorürbergingen, "können Fische telefonieren?"

Die Telefonzelle war zu einem Aquarium umgebaut. Der Hörer hing in dem trüben Wasser herab, Luftblasen sprudelten aus ihm empor. An den Scheiben wucherte ein grünlicher Algenfilm. Goldfische schwammen träge umher. Ein kalter Wind, der an diesem Morgen über das Gelände der Expo2000 fegte, blies den Nieselregen in Alanas Gesicht. Mit einer Hand wischte sie sich Tropfen von der Stirn.

"Hey, die machen hier tatsächlichen einen Test" Joachim beugte sich zu einem Schild, das an den Scheiben befestigt war. "ob Fische telefonieren können. Über den Tasten hängt ein Zettel mit Telefonnummern."

"Deine Fische kotzen mich an", Alana zog den Reisverschluss ihrer Jacke zu und verschrängte die Arme vor der Brust.

"Was ist heute eigentlich mit dir los?" Joachim drehte sich zu ihr um. "Du wolltest auf die Expo, bitte schön, wir sind auf der Expo."

"Und welche Lüge hast du deiner Frau diesmal aufgetischt?"

"Dass ich einen dringenden geschäftlichen Termin bei einem Kunden in Las Vegas habe."

"Auf so eine dumme Ausrede kannst auch nur du kommen."

Der Regen wurde stärker und drang langsam durch ihren Schal.

"Was hätte ich denn sonst sagen sollen?"

"Vielleicht etwas naheliegenderes." Alana deutete mit der Hand auf einen Punkt zwischen ihr und Joachim. "Oder vielleicht die Wahrheit."

"Die Wahrheit. Was soll das denn heißen"

Ein Handy klingelte. Joachim legte die Stirn in Falten und griff eine Hosentasche.

"Hallo?", Joachim hielt den Kopf schräg gegen den Apparat. "Schat, ich habe die schon tausend Mal gesagt, du sollst mich nicht auf meinem Handy anrufen, wenn ich geschäftlich unterwegs bin."

"Du bist unmöglich", schrie Alana, entriss Joe das Handy und rannte davon. "Hier ist Alana. Interessiert dich, wo sich dein Mann gerade rumtreibt?"

29
Aug
2006

Schrei!

Norbert fuhr in seinem Bett auf. In seinem Zimmer war es dunkel, durch das geöffnete Fenster blies die Nacht herein. Obwohl er nackt auf dem Bett lag, lief ihm Schweiß die Stirn herunter. Er hatte einen Schrei gehört, einen langsam anschwellenden Ton. Aber jetzt, da bis auf Grillen, die im Garten zirpten, Stille um ihn herschte, war er nicht sicher, ob er den Schrei wirklich gehört oder nur geträumte hatte. Konnte man von einem geträumten Schrei aufwachen? Der Radiowecker auf seinem Nachtschrank zeigte 23:45 Uhr an. Er hatte höchstens eine Stunde geschlafen. Er wischte sich Schweiß von der Stirn.
"Uuuuaah!"
Der Schrei klang zuerst wie eine leise muhende Kuh, wurde lauter, dehnte sich wie Luft, die aus einem Ballon entwich, er kam aus der Nachbarwohnung. Norbert sprang aus dem Bett, zog den Bademantel über und lauschte an der Wohnungstür. Als er durch den Türspion spähte, brannte ihm Treppenhaus kein Licht. Erst vor einer Woche war eine junge Frau nebenan eingezogen, der er seitdem nur einmal vor der Haustür kurz begegnet war, er konnte sich kaum an ihr Aussehen erinnern. Sie schien aber jünger als er zu sein.
"Ooooooeeeeeeh!"
Diesmal rumorte die Stimme erst wie eine Oboe und wechselte in einen langgezogenen Geigenton, trotzdem war es ohne Zweifel eine Frauenstimme, die von der gegenüberliegenden Wohnung scholl. Norbert öffnete die Wohnungstür und trat hinaus. Seltsam, dass keiner der anderen Mieter irritiert war.
"Aaaah! Aaaah! Aaaah!"
Kurze Schreie, unmittelbar hintereinander, eher brüllendes Stöhnen. Waren das Schmerzensschrei? Hatte die Frau einen Unfall gehabt? War sie krank?
"Jiiiiiiiiiiiiii ..."
"Hallo!" Norbert polterte mir den Fäusten gegen die Tür, der Schrei brach ab.
"Ist ihnen was passiert? Brauchen sie Hilfe?", schrie er.
Die Wohnungstür öffnet sich. Eine zierliche Frau, nur bekleidet mit meinem dünnen Nachthemd, fiel ihm um den Hals und küsste in auf den Mund.
"Was tun sie? Was soll das?", er stieß die Frau von sich fort. "Erst schreien sie, dass man sonstwas denkt, jetzt knutschen sie mich ab."
"Entschuldigen sie, ich hab total vergessen, dass noch andere im Haus wohnen" Die Augen, das Gesicht, der Körper der Frau strahlten wie ein riesiges Feld blühender Sonnenblumen. "Ich musste es einfach hinaus schreien"
"Was?", stammelte Norbert.
"Ich bin so glücklich!", rief sie atemlos. "Ich bin fertig! Verstehen sie? Fertig! Fertig! Fertig!"
"Fertig? Womit?"
"Kommen sie!", die Frau nahm seine Hände. "Schreien sie mit mir! Ich lad sie ein! Lassen sie es raus!"
"Ich?" Er riss sich von ihr los und ging ein paar Schritte zurück. "Was soll ich raus lassen?"
"Was weiß ich?" Sie packte ihn an den Schultern. "Es halt! Ihre Angst, ihr Glück, ihre Zweifel, ihre Träume!"
Sie stellte sich mitten ins Treppenhaus.
"Kommen sie, wir schreien zusammen!"
Sie beugte sich nach vorn, presste die Hände gegen Stirn und begann: "Jiiiiiiiiiipppppppiiiiiiiii!"

24
Aug
2006

Der Termin

Bevor Susanne aus dem Wagen stieg, blieb sie noch ein paar sitzen. Ihr Magen krampfte sich zusammen, den ganzen Tag schon hatte er rumort, aber sie hatte keine Zeit gefunden sich zu erleichtern. Auch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Sie drückte sich in den Sitz und presste den gegen ihren Enddarm. Sie wusste, dass man das nicht tun, dass man auf Toilette gehen sollte, wenn der Körper einem die entsprechenden Signale gab, aber so kurz vorm Ziel, konnte sie nicht von ihrem Zeitplan abweichen. Sie klappte den Schminkspiegel herunter, um ihr Gesichcht zu kontrollieren. Auf der Stirn sammelten sich Schweißperlen, die sie mit einem Taschentuch wegwischte. Sie schaute in ihre Augen. Jemand der sie nicht kannte oder wie Dr. Nobis nur ein paar Mal gesehen hatte, würde in diesen Augen nichts weiter sehen als die leeren Augen einer Mittdreißigerin, arbeitslos, etwas verzweifelt; Susanne hatte lange geübt, bis sie diesen Blick beherrschte, diesen Blick, der ihre Absicht und Entschlossenheit verschleierte. Sie nahm ihre Haare zusammen und band sie mit einem Gummi zu einem Pferdeschwanz zusammen, wass ihr eine noch harmloseres Aussehen gab. Für einen Moment ließ sie die Maske fallen, sie streckte die Zunge heraus, wollte sich selbst sehen, ob sie die Kraft für die Tat noch dar war oder ob der Magenkrampf ein Wink aus ihrem Unterbewusstsein, den Plan besser aufzugeben. Nein, kein Zweifel, sie wollte es, sie steckte eine Hand in die Handtasche, taste nach dem Revolver, fühlte den Lauf, den Abzug, die Trommel; während sie Waffe befühlte, ohne den Blick vom Spiegel abzuwenden, wusste sie: Niemand könnte sie aufhalten, sie war entschlossen. Sie griff nach ihrer Handtasch stieg aus dem Wagen aus und gerade, als sie die Tür zu schlagen wollte, bemerkte sie, wie der Wagen langsam rückwärts aus der Parklücke heraus auf die Straße rollte. Der Schalthebel des Automatikgetriebes stand auf "R" und die Handbremse war nicht angezogen. Susanne risse die Handbremse bis zum Anschlag zurück, abrupt blieb der Wagen stehen. Ihr Herz schlug schneller. Beinahe, das war knapp. Eine kleine Unachtsamkeit und ihr Vorhaben wäre gescheitert. Warum hatte sie auch einen Wagen mit Automatikgetriebe geliehen, sie würde sich nie daran gewöhnen. Sie schob den Schalthebel auf "P" und schlug die Tür zu. Sie atmete erleichtert auf, noch mal gut gegangen; nur nicht dran denken, was passiert wäre, wenn der Wagen während sie die Tat ausführte in den Verkehr gerollt wäre.

3
Jul
2006

Genug Zeit

Der Knauf des Kleiderschrankes seiner Mutter fühlt sich kalt an, Heiko dreht ihn herum und öffnet die Tür einen Spalt weit; hineinschauen kann er nicht, ein flüchtiger Hauch vom Parfum seiner Mutter, das die Kleidungsstücke ausdünsten, umfächelt ihn. Irgendwo in der leeren Wohnung knarrt eine Diele. Er zuckt zusammen, stößt die Tür zu, hastet aus dem Schlafzimmer seiner Eltern zurück in sein Kinderzimmer. Verwundert blickt er sich um, als er bemerkt wo er sich befindet, denn in Gedanken steht er noch immer vor der verschlossen Tür. Er setzt sich auf das Bett, schlägt den "Herrn der Ringe" auf, kann sich aber nicht konzentrieren und so legt er das Buch zurück auf den Nachtschrank.

Wie lange ist seine Mutter fort? Vielleicht eine viertel Stunde, höchstens zwanzig Minuten. Genug Zeit also, denkt er. Wenn die Mutter zum Einkaufen in die Stadt fährt, braucht sie immer mindestens zwei Stunden. Genug Zeit also. Der Vater kommt frühestens in vier Stunden von der Arbeit. Die Schwester besucht eine Freundin. Genug Zeit, du kannst wagen sagt er sich.

Er geht auf den Korridor, lehnt sein Ohr gegen die Wohnungstür, horcht in das Treppenhaus. Ein Nachbar könnte klingeln, um nach irgendetwas zu bitten, aber wonach fällt Heiko nicht ein, überhaupt klingeln die Nachbar nur selten. Genug Zeit, du kannst es wagen, nur eine halbe Stunde, du hättest genug Zeit die Sachen zusammen zu legen und in den Schrank zu hängen, sagt eine Stimme in ihm.

Wieder schleicht er in das Schlafzimmer seiner Eltern, vorsichtig, als könnte die Mutter jeden Moment nach Hause kommen. Er geht am Kleiderschrank vorbei, versteckt sich hinter den Vorhängen und späht hinunter auf die Straße vorm Haus: Der Nachbar von gegenüber mäht Rasen. Könnte der ihn von dort beobachten, wenn er die Tüf öffnet? Kein Verkehr auf der Straße. Heiko blickt wieder auf den Knauf. Was mache hier ich? Warum will ich das? Warum ausgerechnet ich? Was stimmt mit mir nicht? Er lehnt den Kopf gegen die Schranktür, eine Hand umkreist den Knauf, streichelt ihn fast, dann packt er zu und reißt die Tür auf. Der Geruch seiner Mutter schlägt ihm entgegen, dass er für einen Momet glaubt, sie stünde neben ihm. Da hängen sie: die Blusen, Kleider, Röcke seiner Mutter.

15
Jun
2006

Gesund

Sie war krank gewesen, tiefer und erschütternder als ihr bisher bewusst gewesen war, das lernte Maria mit jedem neuem Tag, den es ihr besser ging. Seit sie sich von ihrem Bett erhoben hatte, begann sie zu verstehen, dass es Abstufungen unter den Krankheiten gab. Immer hatte sie gedacht zu wissen, was es bedeutete krank zu sein, und hatte dabei nur an körperliche Heimsuchungen gedacht. Wenn sie früher mit schwerem Fieber im Bett fantasiert hatte, wenn eine Blasenenzündung ihren Unterleib zusammen geschraubt hatte, dass sie wimmernd auf der Toilette hockte, hatte sie das immer für die schlimmste aller Krankheiten gehalten. Von jeder dieser Krankheit glaubte sie sich erholt zu haben, aber erst jetzt seit sie verstand, wie krank im Geist sie gewesen war, wie durcheinander ihre Gedanken gewesen war, begriff sie was es hieß, gesund zu sein. Morgends tanzte sie durch ihre Wohnung und dabei sang zu den Melodien alter Schlager sinnlose Silben.

16
Mai
2006

Banane, Himbeer, Schokolade

Das Eis schmolz in der Sonne. Banane, Himbeer, Schokolade, wie immer. Sie rührte lustlos mit dem Plastiklöffel in dem Becher. An ihr vorbei stürmte eine Horde Kinder, alle im gleichen Alter, sieben, acht Jahre, sie trugen eine Schuluniform, die Mädchen weiße Blusen, tannenfarbene Röcke, schwarze Söckchen und Sandalen, die Jungen Hemden, kurze Hosen und Kniestrümpfe in den Farben der Mädchen, Schnürschuhe. Ihre Mundwinkel bogen sich unmerklich nach unten. Während die Klasse auf den freien Plätzen um Julia herum Platz nahm und der Lehrer, ein rundlicher Mitdreissiger, der aussah als käme er gerade von der Uni, die Kinder durchzählte, beobachte sie die rothaarige Kellnerin, die mit zusammengepressten Lippen am Rand der Gruppe auf und ab ging. Die kann sich bestimmt auch angenehmere Kundschaft vorstellen, dachte Julia und wollte gerade aufstehen, als jemand an ihrem Rock zog.

"Was für Eis hast du?"

Der Junge hielt sich eine Hand vor die Stirn, als Sonnenschutz. Er machte ein ernstes Gesicht, viel ernster als sie es vom einem siebenjährigen erwartete hätte. Plötzlich fühlte sie sich unsischer. Was ging sie der Junge an, sie sollte einfach aufstehen und ihn ignorieren, aber an diesem paar Augen, das sie fixierte, als gelte es das größte Geheimnis der Kindheit zu enthüllen, war etwas besonderes, die Pupillen zuckten nicht, die Lider blinzelten nicht, ein leerer Blick, wie der einer Puppe, mit der lange niemand gespielt hatte.

"Banane, Himbeer und Schokolade" Julia sank wieder in ihren Stuhl.

"Wie schmeckt es?"

"Ich weiß nicht, ich habe noch nicht probiert?"

Warum nur antwortete sie diesem Kind? Dessen Stimme klang, als hätte es schon an allen möglichen Orten ein Eis gegessen und sie anstarrte als wäre sie seine Vorkosterin.

"Was willst du eigentlich von mir? Lass mich in Ruh!", entfur es ihr, sie tastete nach ihrer Handtasche und ging, ohne ging ohne zu bezahlen.

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