Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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1
Nov
2006

Die tote Katze I

Selbst wenn er versuchte weg zu blicken, zog ihn der Körper der toten Katze immer wieder an. Seine Augen klebten an dem Haufen aus Fell und Blut, wie eine Fliege an einem Fliegenfänger. Minutenlang schon stand er mit auf die Brust gesenkten Kopf neben der Leiche des Mann, die friedlich in dem Sessel saß als schliefe sie, nur ein roter Blutfleck über dem Herzen verriet, dass hier ein Verbrecher geschehen. Kommissar Jens Schröter strich sich mit einer Hand über den Bauch, um sich abzulenken. Dass er sich mit der anderen auf der Schulter des Mannes abstützte, merkte er nicht. Er hatte in seiner Karriere schon viele Tatorte gesehen, keiner war wie dieser hier gewesen. Er fragte sich, wer das Opfer war, das Tier oder der Mensch. Bei allen seinen frühen Fällen konnte das Opfer eindeutig identifiziert: das Opfer war immer diejenige Person, die die meiste Brutalität abbekommen hatte, egal wie viele Personen von dem Verbrechen betroffen waren, egal ob der Mörder die Wohnung verwüstet hatte oder weitere Personen getötet oder verletzt hatte, stets gab es ein klar definierbares Opfer. Und Schröters Aufgabe bestand dann darin den Mord an diesem einen Opfer aufzuklären. Wenn er mit einem Mord konfrontiert wurde, bemühte er sich zuerst dieses eine Opfer zu identifizieren. Die wenigsten Täter planten ein Massaker, sondern zielten mit ihrer Tat auf genau eine Person; und sobald Schröter diese eine Person gefunden hatte, konnte er Hypothesen formulieren, von denen er sich in den Ermittlungen leiten ließ. Aber wie lautete die Hypothese für den Mord an einer Katze?

„Hast du so etwas schon mal gesehen?“ Claudia Borger, Schröters Assistentin, deutete auf den Tierkadaver. Sie hätte sich die Geste sparen können, es war klar, dass sie die Katze meinte, einen erstochenen Mann hatten beide oft genug gesehen.

Schröter schüttelte den Kopf. Er fragte sich, ob der Anblick ihn deshalb so schockierte, weil er selbst zwei Katzen besaß. Wie würde er reagieren, wenn er nach einem anstrengenden Arbeitstag Cornelius, sein schwarzer Kater, oder Miranda, seine braunweiß getigerte Katze, so zerstückelt in seinem Flur lagen.

Der Kadaver oder besser die Überreste der Katze lagen mitten im Raum, ein paar Meter von dem toten Mann entfernt. Das einzige woran, man erkennen konnten, dass dieser Haufen aus Blut, Fell und Knochen bis vor ein paar Stunden auf vier Pfoten durch den Garten gesprungen war, waren das weiße Gesicht der Katze, das wie eine Seerose in einer Blutlache schwamm und Schröter mit schwarzen aufgerissenen Augen anstarrte. Der Schädel war zertrümmert und das Gehirn quoll heraus. Vermutlich war es eine Siamkatze gewesen. Der Täter musste mit dem Messer, das neben dem Haufen im Parkett steckte, wie in Trance auf das Tier eingestochen haben.

„Vermutlich die Tatwaffe“, sagte einer der Leute von der Spurensicherung, als er das Messer heraus zog und in einen Plastikbeutel steckte.

„Geht es dir gut“, fragte Borger mit besorgtem Gesicht.

„Was für eine dumme Frage!“, Schröter tat es leid, dass sie seine Wut abbekam, aber irgendwohin musste er, damit er endlich seine Arbeit aufnehmen konnte.

„He, ich habe dir nichts getan“, wehrte sich Borger. „Ich mache mir Sorgen, um dich und blaffst mich hier so an.“

„Wie ginge es dir denn, wenn man dich Allerheiligen aus dem Schlaf klingelt, weil wieder irgendein ein Scheißkerl ein armes Schwein abgestochen hat“ Er wollte sich nicht entschuldigen, wollte sich einfach nur auskotzen, Es ging ihm tatsächlich nicht gut. Er hatte sich noch immer nicht von seiner letzten Grippeinfektion kuriert. Als er der Anruf von der Leitstelle entgegen genommen hatte, hatte er sich gerade in seinem Sessel zurückgelehnt, um Musik zu hören, währen Miranda schnurrend auf seinem Schloss lag.

„Ich kann mir denken, wie dich das mit nimmt.“ Borger bückte sich zu der Katze und tippte mit einem Wattestäbchen in das Blut der Katze. „Aber wir haben einen Job zu erledigen. Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber mir scheint hier einiges nicht zu stimmen.“

„Ach, ne, darauf wäre ich nie gekommen!“ Borger hatte recht. Er musste seine Sentimentalität beiseite schieben und mit seiner Arbeit beginnen. Er durfte nur nicht vergessen, worin seine Aufgabe bestand: Den Mord an diesem Kerl im Sessel aufzuklären, er war das Opfer nicht die Katze. Hoffentlich würde er das nicht vergessen.

„So sicher bin ich mir da nicht.“ Borger hielt das Wattestäbchen unter ihre Nase, um daran zu riechen. „Ich mein nicht den Zustand der Katze oder die Art, wie sie abgeschlachtet wurde.“

„So, was dann?“

„Sondern den Zeitpunkt, zu dem der Täter auf sie eingestochen hat.“ Die Beamtin untersuchte die Einstichstelle über dem Herz des Mannes. „Für mich deutet der Zustand des Blutes der Katze darauf hin, dass sie erst einige Stunden nach dem Mord getötet wurde. Genaueres muss uns das Labor.“

Schröter beobachtete seine Assistentin. Sie arbeiteten erst seit einigen Wochen zusammen. Borger war von Hannover nach Alfeld versetzt worden. Den Grund für die Versetzung kannte Schröter nicht. Ihm waren Gerüchte zu Ohren gekommen, dass sich Borger während der Ermittlung in einer Mordserie zu seiner aus dem Fenster gelehnt hatte, zu viel Eigeninitiative gezeigt, die beinahe zu einem weiteren Opfer geführt und die Aufklärung verhindert hatte. Ein Strafversetzung, also. Schröter konnte den Eifer seiner Kollegin verstehen. Chemische Auswertung von Spuren am Tatort war ihr Spezialgebiet. Sie wollte ihren Fehler wieder gut machen. Trotzdem schien im ihre Vermutung etwas gewagt. Warum sollte der Täter erst den Mann ermorden und dann Stunden später auf die Katze einstechen? Was hatte er solange in dem Haus gemacht? Auf den ersten Blick sah die Wohnung nicht so aus, als wäre sie durch sucht wurden oder als wäre etwas gestohlen worden. Nimm dich zusammen Schröter, sagte er zu sich. Das ist nicht deine Katze, die dort auf dem Teppich liegt.

„Ein gewagte Vermutung“ Schröter gähnte. Es wurde Zeit, dass er sich endlich mit dem eigentlichen Opfer befasste. „Was wissen wir bisher über das Opfer?“

„Wen meinst du jetzt den Mann oder die Katze“, stichelte Borger. Er hasste ihre Art, immer noch einmal nach zu stechen, gerade dann wenn er sich wieder gefangen hatte. Er biss sich auf die Zunge und ignorierte die Bemerkung.

„Ist das der Besitzer des Hauses?“, fragte er stattdessen.

„Vermutlich“ Borger blätterte in einem Notizbuch. „Laut Klingelschild wohnt hier ein Herr Franz Scheinemann. Wir überprüfen das gerade. Bisher konnten wir keine Ausweispapiere oder ähnliches bei ihm finden. Und so früh an einem Feiertag schlafen die meisten Nachbarn“

„Wer hat denn dann die Polizei gerufen?“, fragte Schröter. „War das kein Nachbar?“

„Gegen 7 Uhr heute früh ging ein Anruf bei der Dienststelle ein“, antwortete Borger. „Ein Frau berichtete, dass in der Ludwigstraße 48 ein Mord verübt wurde. Der diensthabene Beamte meinte, dass die Stimme der Frau hektisch klang, außer Atem, so als wäre sie eine lange Strecke gelaufen.“

„Ein anonymer Anruf?“ Schröter stöhnte. „Konnte das Gespräch zurückverfolgt werden.“

„Ja, allerdings nur bis zu einer Telefonzelle“ Borger steckte ihr Notizbuch zurück in ihre Handtasche, die sie um die Schulter gehängt trug. „Der Beamte dachte zuerst, dass es sich um einen Scherz handle, hat dann aber doch reagiert, weil es nicht die richtige für Kinderstreiche wäre.“

Schröter nickte, kaum jemand würde an einem Feiertag um sieben morgends aus dem Bett steigen, um der Polizei ein Bären aufzubinden.

„Und weil außerdem eine Streife in der Nähe.“, fuhr Borger fort.

„Wo ist denn diese Telefonzelle. Haben wir überhaupt noch eine funktionierende in der Stadt. Ich dachte die wären alle dem Vandalismus oder Sparzwang der Telekom zum Opfer gefallen?“

„In der Claudiusstraße, nahe dem Parkplatz am Markt steht noch eine. Von der kam auch der Anruf.“ Borger ging um den Schreibtisch herum und inspizierte die Bücher in den Regalen. „Wir haben schon Beamte hingeschickt, aber Fehlanzeige.“

„Gibt es sonst irgendwelche Zeugen?“

„Nein.“ Borger verschränkte die Arm vor der Brust.

Manchmal erstaunte Schröter die Gleichgültigkeit Borgers. Hatte sie eben noch, während sie die Katze untersuchte eine gewissen Form von Eifer gezeigt, war sie jetzt ganz abrupt in das genau gefallen. Während sie dieses eine Wort gesprochen hatte, war in ihrer Stimme nicht die geringste Emotion gewesen. Er hätte auch fragen können, ob sie eine rauchen wollte, er hätte dieselbe Antwort bekommen. Für jemanden, der so schnell wie möglich zurück auf ein interessanteren Posten versetzt werden sollte, waren solche Stimmungsschwankungen nicht gut. Schröter kannte das von sich selbst. Er war selbst einmal so jung wie Borger gewesen, als er in die Stadt. Jahrelang hatte er auf einen spektakulären Fall gewartet, bei dem er zeigen konnte, was in ihm steckte. Nichts war passiert, wenn von ein paar Einbruchserien absah. Irgendwann hatte er sich damit abgefunden, in diesem Kaff hängen zu bleiben. Er war jetzt 47, trank sich langsam aber sicher einen Bierbauch an, und als den Toten, der da vor ihm im Sessel an seinem Schreibtisch saß, betrachte, wurde ihm klar, dass er eigentlich für solche Fälle zu alt war. Alt? Mit 47? Er kratzte sich am Kopf. Er erinnerte sich, dass sich als junger Mann vorgenommen hatte, sich selbst frühestens mit Anfang 60 als alt zu bezeichnen. Was war geschehen? Wieso fühlte er sich auf einmal so alt? Nur weil der Mörder seine Wut oder welches Gefühl auch immer es war, nicht an dem Opfer sondern an der Katze ausgelassen hatte?

„Scheiße!“, entfuhr es ihm und bemerkte, dass seine Hand noch immer auf der Schulter des Mannes lag, er zog sie zurück und massierte die Finger, die sich ganz taub anfühlten. „Dann fangen wir mal.“

Schröter sah sich im Zimmer um.

„Ich sehe mich hier im Arbeitszimmer und im Garten um.“ Die frische Morgenluft würde ihm gut tun. „Du übernimmst bitte die anderen Zimmer im Erdgeschoss und die erste Etage.“

„Wenn du meinst.“

Nachdem Borger den Raum verlassen hatte, konzentrierte sich Schröter endlich auf das Mordopfer. Der Mann war ungefähr 55 bis 60 Jahre alt, hatte eine Halbglatte, über die er ein paar dünne Strähnen weißen Haares gekämmt hat. Er saß aufrecht in dem Stuhl, der ein Stück von dem Schreibtisch weggerückt war, beide Arme ruhten auf den den Lehnen. Es schien kein Kampf stattgefunden zu haben. Bis auf den Blutfleck wies das weiße Hemd keinen Schaden auf. Der Reisverschluss der schwarzen Cordhose war offen, was Schröter erst jetzt bemerkte. Der Mann trug braune Wildlederschuhe und schwarze Socken. Die Unterlippe hing ein wenig herab, als wäre der Mann beim Sprechen unterbrochen worden. Ein süßlicher fast blumiger Geruch ging von dem Körper aus, der den Kommissar an ein Frauenparfum erinnerte.

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