Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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10
Jul
2008

Wolken

Bisher habe ich hier noch nicht viel über meine Behinderung geschrieben. Ich weiß nicht genau, woran das liegt, wahrscheinlich weil ich mein gesamtes bewusstes Leben gehbehindert war. An die Zeit vor meinem Unfall kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht fällt es mir deshalb so schwer darüber zu schreiben, weil meine Gehbehinderung für mich etwas so gewöhnliches ist, dass mir ihre Besonderheiten gar nicht mehr auffallen. Ich kann mich an Momente erinnern, da fühlte sich die Art wie ich laufe so normal und selbstverständlich an, dass ich selber erschrak, wenn ich mich in einem Spiegel laufen sah. Meine Gedanken waren dann ungefähr die: “Wie? So furchtbar sieht das gerade aus? So fühlt sich das gar nicht an!”

In diesem Zustand bin ich zur Zeit nicht: Nun fühlt es sich so an wie es aussieht. In den letzten Monaten ertappte ich mich dabei, dass ich nicht laufen wollte, damit niemand sieht wie schlecht ich zur Zeit gehe. Ich sass mit Freunden in einer Kneipe und zögerte den Gang zur Toilette so weit hinaus, dass ich mir fast in die Hose machte, nur weil ich unter den Augen der anderen Kneipenbesucher nicht laufen wollte: Weil ich mich schämte so zu laufen wie ich laufe. Diese Gedanken habe ich mir schnell abgewöhnt als mir ihre Tragweite klar wurde. Wenn ich jetzt in einer Kneipe bin und zur Toilette muss, schere ich mich nicht darum, ob die anderen betroffen oder schockiert sind - okay es gelingt mir nicht immer, aber wenigstens verkrieche ich mich nicht. Ich remple Leute an, an denen ich vorüber muss, stütze mich auf Tischen und Stuhllehnen ab, manchmal auch auf fremden Schulter und schwanke irgendwie zur Toilette.

Vor kurzem traf ich mich mit einem Mann, den ich über das Internet kennen gelernt hatte. Sein neunjähriger Sohn hat eine ähnliche Behinderung wie ich, das erzählte er mir während des Treffen. Irgendwann ging ich zur Toilette. Als ich zurück kam, sagte er zu mir:

“Du musst ein ganz großes Selbstbewusstsein!”

Mir hat dieser Satz sehr gut getan. Er erinnerte mich an etwas, dass ich den letzten Monaten zwar nicht vergessen aber nicht so präsent in meinen Gedanken hatte, so als hätte sich vor eine Lichtquelle eine Wolke geschoben. Denn obwohl mich meine Behinderung zur Zeit so stört wie noch nie zuvor in meinem Leben, dass ich sie in manchen Moment am liebsten aus meinem Körper heraus reißen und auf einem Scheiterhaufen verbrennen möchte, wache ich mit einem Lächeln auf und gehe mit einem Lächeln schlafe
Wally P. - 17. Jul, 13:46

Liebe Sarah

Ich gebe zu, als wir uns beim ersten Stammtisch kennengelernt haben und du später aufgestanden und zur Toilette gegangen bist, war ich auf den Moment schockiert. Wohl auch darum, weil ich nicht darauf gefasst war, denn man sieht dir die Gehbehinderung ja nicht an, bemerkt es nur, wenn du gehst. Aber schon vom ersten Moment an habe ich bewundert, wie selbstverständlich du damit umgehst, habe bewundert, dass du dich kein bißchen ´versteckst´, sondern dich selbstbewusst bewegst, ungeachtet irgendwelcher befremdeten Seitenblicke von anderen. Das hat mir sehr imponiert. Und hat mir sogar Mut gemacht. - Mut gemacht, auch mal ein ärmelloses Top zu tragen, trotz meiner ´schweren´ Oberarme, auf die immer alle schockiert gucken, wenn ich ärmellose Kleidung trage. Zumindest bilde ich mir ein, dass alle komisch gucken. Schon seit meiner Jugend habe ich meine Oberarme immer `versteckt´. Und wenn du schreibst, du würdest dir deine Behinderung am liebsten aus dem Körper reißen, so kann ich das tatsächlich nachvollziehen. Mein Problem ist zwar lächerlich im Vergleich zu deiner Gehbehinderung, aber psychisch gesehen für mich immer ein Riesen-Problem gewesen. Eine Hemmung, die ich, je nach Stimmung, manchmal überwinden kann, oft aber auch nicht.

Dein Text hier macht mich nachdenklich, denn seit wir uns kennen, ist dein Gehen für mich so normal geworden, dass ich deine Behinderung meist gar nicht mehr wahrnehme. Und durch diesen Text fiel mir wieder ein: Nur beim letzten Stammtisch war das anders. Da hatte ich richtig Angst, du fällst hin, als du zur Toilette gegangen bist, weil du dich viel verkrampfter bewegt hast, als üblich. Das fiel mir extrem ins Auge. Und da hab ich mich gefragt, ob was nicht stimmt mit dir, wollte aber nicht fragen, weil ich mir unsicher war, ob dir das recht ist, so in der Runde darüber zu reden. Ich dachte damals, du wärst vielleicht gefallen und hättest dir zur Behinderung noch eine Verletzung zugezogen, oder so. Dass dich vielleicht dein Selbstbewusstsein verlassen haben könnte, auf diesen Gedanken wäre ich nie gekommen. Du bist stark, Sarah! Und bestimmt gibt es viele Menschen, die von dir denken: ach, wäre ich doch auch so selbstbewusst, wie die...

Liebe Grüße
von Wally

sarah.tegtmeier - 31. Jul, 21:32

Liebe Wally,

ich komme erst jetzt dazu dir zu antworten, weil ich die letzten zweieinhalb Wochen im Krankenhaus war. Ich bin erst seit gestern wieder zu Hause.

Ich kann mich noch gut an den ersten Stammtisch erinnern. Ich war ganz schön nervös. Damals hatte ich kein Auto. Mo holte mich vom Bahnhof in Grevenbroich ab. Ich glaube wir hatten vorher nicht miteinander telefoniert. Sie wusste also nichts von mir. Was dachte sie von mir, als ich in ihren Wagen einstieg: War sie erstaunt, neugierig, erschrocken oder was? Mo ließ mich in der Nähe vom Haus Portz raus, weil sie ein Parkplatz suchen musste. Als ich Haus Portz ankam, saß MaMü schon am Tisch. Ich verwickelte sie sofort in ein Gespräch, um ihr keine Zeit zu lassen, sich über mich zu wundern. Ich kam mir irgendwie hyperaktiv und nicht sehr selbstbewusst vor. Ich glaube, dass ich weniger wegen meiner Behinderung als wegen der offensichtlichen Tatsache, dass ich nicht immer eine Frau war, nervös war. Wenn ich heute neue Leute kennen lernen, mache ich mir oft Sorgen, was sie über mich wegen meiner Transsexualität denken. Ähnliche Sorgen habe ich mir früher, als ich noch ein Mann war, über die Wirkung meiner Behinderung auf andere nicht oder zumindest nicht so intensiv gemacht. Der Grund dafür ist wohl, dass meine Behinderung für mich immer normal war und dass ich diesen Grad an Normalität in meinem Leben als Frau noch nicht erreicht habe.

Ciao!

Sarah

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