Konturen
Jeden Abend denkt Larissa, wenn sie auf der Bettkante sitzt und sich die Haare kämmt, war es das jetzt, muss es da nicht noch etwas mehr geben, muss das Leben nicht ein bisschen mehr nach Zuckerwatte schmecken? Sie blickt auf ihren Schreibtisch, der wie immer tadellos aufgeräumt ist. Briefe liegen dort, die Stifte, mit denen sie ihr letztes Bild gemalt hat. Sie denkt an das Gefühl, das sie hatte als sie die letzte Fläche ausmalte. Ein Mandala, sie benutzte nur vier Farben, weil ihr ein Freund vor kurzem erklärte, dass vier Farben reichen, um jedes Mandala so auszumalen, dass nie die gleiche Farbe aneinander grenzt. Sie nahm rot, schwarz, weiß und grau. Welche Weg würden die roten Flächen wählen? Wie würden sie sich verteilen? Sie mag diese Ungewissheit beim Malen, sie mag es, wenn sich Striche zu Umrissen ergänzen, die vorher nicht da waren. Deshalb malt sie lieber als bildhauern, da ist ja alles schon, da muss man nur das überschüssige Material entfernen. Aber beim Malen: Nichts ist da, das Blatt ist weiß und leer, man kann kein überschüssiges Material entfernen, muss dem Nichts eine Kontur geben, in der es sich auflöst, im Bild, in einer Zeichnung verschwindet.
sarah.tegtmeier - 13. Jan, 20:11