Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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31
Okt
2007

Die Motte

Als ich heute morgen in mein Büro kam und mich an meinen Schreibtisch setzte, fiel mir eine Motte auf, die draußen auf der Scheibe saß. Sie leuchtete hellbraun wie die Blätter, die der Wind jetzt von den Bäumen bläst. Ihre Flügel waren durchscheinend und hatten in der Mitte jeweils einen winzigen schwarzen Fleck. Einen Moment beobachtete ich das Insekt, dann holte ich mir einen Kaffee. Als ich mich vor meinen Bildschirm setzte und an meinem Becher nippte, war die Motte noch immer da. Sie blieb den ganzen Tag regungslos an ihrem Platz. Von meinem Arbeitsplatz aus musste ich nur leicht den Kopf vom Monitor zum Fenster drehen, um sie zu sehen. Sie war immer da, während der acht Stunden, die ich heute im Büro war, bewegte sie sich nicht einen Millimeter. Sie war immer einfach nur da. Während dieser acht Stunden habe ich ungefähr vier Tassen Kaffee getrunken, vier Mal bin ich zur Toilette gegangen, mittags war ich in der Kantine essen, am Nachmittag aß ich eine Apfelsine, ich habe mich gelangweilt, ich habe Emails gelesen, mich mit Kollegen unterhalten, war wenigstens einmal wütend, ich habe die Entwicklung eines Programmteiles abgeschlossen und seine Funktionalität getestet. Während dieser ganzen Zeit, rührte sich die Motte nicht von der Stelle.

Es war eine schöner Tag heute in Aachen, blauer Himmel, Sonnenschein. Auf dem Weg in die Kantine überlegte ich sogar, ob es warm genug war, dass wir den Mittagskaffee wie im Sommer im Freien genießen könnten. Am Nachmittag flog ein Schwarm Krähen über den Parkplatz Richtung Westen. Ein junge Frau joggte mit ihrem Hund. Ich saß an meinem Arbeitsplatz. Die Luft im Büro kam mir stickig vor. Draußen war es kalt. Die Motte sass die ganze Zeit an ihrem Platz. Ich glaube nicht, dass sie tot war, wie hätte sich ein totes Insekt den ganzen Tag an einer Scheibe halten sollen?

Ich habe mal von einer Theorie gelesen, nach der die Gefühle und Gedanken, die wir im Kopf und im Bauch haben, und sogar unsere ganze Persönlichkeit, unser Ich, unser Bewusstsein von uns selbst, dass dies alles nichts weiter ist als ein Konstrukt unseres Gehirns, mit dem es versucht, die unglaubliche Flut an Reizen und Information zu verarbeiten. Nach dieser Theorie ist jeder Gedanke, jedes Gefühl eine Projektion dessen, was unser Gehirn von sich selbst wahrnimmt.

Was nahm das Gehirn dieser Motte wahr? Verglichen mit meinem Gehirn besteht dieses Insektenhirn nur aus einem winzigen Bruchteil von Nervenzellen. Zu komplexen Wahrnehmungen ist dieses Gehirn sicher nicht in der Lage. Das Gehirn der Motte kann einen Mangel an Nährstoff wahrnehmen, es kann hungrig sein und sein die Motte zur Nahrungssuche veranlassen. Es kann äußere Bedrohungen erkennen, wie z.B. Vögel, die die Motte fressen wollen, oder ungünstige Witterungsbedingungen wie Regen oder Wind, woraufhin die Motte flüchten oder sich einen günstigeren Platz suchen wird. Vielmehr muss dieses Gehirn nicht verarbeiten, um das Überleben dieser Motte zu sichern. Dass die Motte sich den ganzen Tag über nicht bewegte, bedeutet also, dass sie keinen Grund dazu hatte. Sie hatte keinen Hunger und nichts bedrohte sie.

Den ganzen Tag versuchte ich mir immer wieder den Zustand des Gehirns dieser Motte vorzustellen. Am späten Nachmittag, als mein Kollege das Büro verließ, beugte ich mich zu der Scheibe, um die Motte näher zu beobachten, keine Reaktion. War sie vielleicht doch tot? Nein, das glaube ich noch immer nicht. Wahrscheinlich schwirrt sie inzwischen um irgendeine Lampe. Erst am späten Nachmittag fing ich an zu begreifen, was das Verhalten der Motte bedeutete. Die Situation und die Position der Motte waren perfekt. Ihr Gehirn nahm keine äußeren oder inneren Reize war, die eine Reaktion erforderten, d.h. es gab also keine Handlung, die die Situation der Motte verbessern konnte. Sie saß einfach nur da auf der Schein. War sie vielleicht einfach nur glücklich? Und was bedeutet das für den Zustand meines Gehirns? Denke, fühle, handle ich nur deshalb, weil sich mein Gehirn noch nicht in einem perfekten Zustand wähnt?

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