Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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18
Aug
2007

Die Arbeit der Nacht

arbeit_der_nacht.jpgWährend der Rückfahrt vom letzten Stammtisch der Schule des Schreibens in Grevenbroich hörte ich im Radio die Lesung eines Buches. Die ersten Minuten hatte ich verpasst, weshalb ich zu dem Zeitpunkt weder den Titel des Romans noch dessen Autor kannte. Ich war sofort von der Handlung und der Stimme des Sprechers gefesselt. Als ich vor meiner Wohnung parkte, unterbrach ich das Hören der Lesung für eine viertel Stunde, während der ich meine Katzen versorgte und den Rechner einschaltete, um auf den Seiten von WDR 5 zu recherchieren, welches Buch dort gerade gelesen wurde: Es war der Roman
Die Arbeit der Nacht
des österreichischen Autors Thomas Glavinic. Ich überflog eine Kritik zu dem Buch, die ich auf Buecher.de fand. Die war positiv. Da das Werk im Oktober 2006 immerhin den zehnten Platz auf der SWR-Bestenliste erreichte, entschloss ich mich, es sofort zu bestellen, obwohl mich eine innere Stimme vor einem übereilten Kauf warnte. Als ich wieder der Lesung lauschte, hatte ich den Anschluss verloren.

Jonas erwacht morgends in seiner Wohnung in Wien. und muss feststellen, dass er allein ist, nicht nur allein in der Wohnung, sondern allein in der Stadt, allein auf der ganzen Welt. Vor seiner Wohnungstür liegt nicht die abonnierte Tageszeitung, egal welchen Sender er im Radio oder Fernsehen einschaltet, er empfängt nur Rauschen oder Flimmern, egal welche Seite er im Internet aufruft, immer erhält er nur die Meldung "Serverr Error: Die Seite ist nicht erreichbar". Anfangs wundert er sich nur. Erst als er an einer Bushaltestelle steht, um zur Arbeit zu fahren, beginnt er das Ausmaß der Situation zu ahnen: In der Stadt ist es still, kein Verkehr auf den Straßen, er ist der einzige Passant.

Die ersten 20 bis 30 Seiten des Buches, während der Jonas seine Lage erkundet, durch Wien fährt, mit einem Sportwagen eine Tour durch die Nachbarländer macht, sind noch einigermaßen interessant und vielsprechend. Er findet niemanden. Er scheint der einzige Überlebende einer globalen Katastrophe zu sein. Er hinterlässt Nachrichten auf Computer-Bildschirm, spannt ein Banner auf an den Fenstern eines Cafes, das sich an der Spitze eines Turms dreht. Er stellt Kameras in der Stadt auf, um leere Plätze zu filmen, sich selbst im Schlaf. Abends schaute stundenlang die Aufnahmen, in der Hoffnung irgendetwas zu entdecken. Er beginnt im Schlaf zu wandeln. Er stellt Kameras auf, um sich selbst zu filmen. Er analysiert das Verhalten des Schläfers (also seines) auf den Aufnahmen.

Gestern Abend nahm ich meine Lektüre mit Kapitel 8 auf Seite 96 wieder auf. Nach ein paar Seiten begann ich mich zu langweilen, ich begann vorzublättern, ob noch irgendwas interessantes geschieht. Ich das Ende des Buch, die letzten Absätze. "Oh, Gott, nein", dachte ich "geht das jetzt immer so weiter bis Seite 395?" Ich schob meine Augen noch bis Seite 129 über die Zeilen, überflog Absätze, von einigen Seiten las ich nur ein paar Wörter: nichts neues, keine Entwicklung, Stagnation, Einfallslosigkeit. Mein Unterbewusstsein rebellierte, es wollte nicht mehr weiter lesen. Meine Vernunft versuchte noch ein paar schwache Argumente: das Buch stand auf der SWR-Bestenliste, Iris Radisch begeisterte sich in der ZEIT für das Buch. Schließlich gab auch meine Vernunft auf: Dies ist ein schlechtes Buch.

Nach einem (fast packendem) Anfang verflacht das Buch. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens ist die Konzeption des Roman nicht tragfähig. Ein Roman handelt von Menschen(Plural!), von ihren Konflikten unterinander oder vom inneren Erleben eines Individuums, von dessen Gefühl. Da Jonas aufgrund der Ausgangssituation der einzige Mensch auf der Welt ist, müsste sich der Autor auf diesen Jonas einlassen, den Leser in dessen Psyche versenken, in seine Gedanken, seine Träume. Aber Autor und Leser stehen außen und betrachten ratlos, was Jonas so treibt. Ich könnte jetzt nicht einmal sagen, wie alt Jonas ist, was für einen Beruf er hat. Mein Eindruck ist, dass Glavinic selbst davor zurück schreckt in die Abgründe der Existenz von Jonas einzutauchen, dass er von dem Gegenstand seiner Erzählung, von Einsamkeit, keine Ahnung hat, dass er das Kreischen der Einsamkeit noch nicht erlebt hat.

Die zweite Ursache, weshalb der Roman misslungen ist, liegt in der Sprache. Sie trocken, seelenlos, uninspiriert. Von den 96 Seiten, die ich bewusst gelesen habe, ist mir nicht ein Satz in Erinnerung geblieben, bei dem ich das Bedürfnis hatte, ihn mir laut vorzulesen.

Zu diesen formalen Mängeln gesellen sich inhaltliche Fehler. Jonas telefoniert ständig. Er versucht seine Freundin in England anzurufen, er bekommt sogar ein Freizeichen. Er schafft es sogar mit sich selbst zu telefonieren. Das ist durchaus glaubwürdig. Telefongespräche werden von Grossrechner vermittelt, die rund um die Uhr laufen ohne das ein Mensch eingreifen müsste. Auch dass Fernseher und Radio nur rauschen und flimmern, kann ich nachvollziehen. Aber warum kann Jonas keine Seiten im Internet erreichen? Die Verbindungen zu Webserver laufen im wesentlichen über dieselben Zentren, die auch für die Telefonvermittlung zu ständig sind. Der Inhalt von Web-Seiten ist in Dateien oder Datenbank abgelegt, die genauso ohne Menschen funktionieren. Die "Server Error" Meldung, die Jonas an Anfang erhält, als versucht einige Internet-Seiten aufzurufen, werden vom Internet-Browser angezeigt, wenn dieser keine Verbindung zum Netz hat. Das Internet müsste aber funktionieren, weil das Telefonnetz funktioniert. Jonas müsste also, wenn er die Seite von CNN aufruft, die letzte gültige Seite erhalten, bevor sich die Katastrophe ereignete.

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