Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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2
Apr
2006

Was ist Alkoholismus?

Wisst ihr, was Alkoholismus ist?

"Ja, natürlich", sagt ihr. "Das ist, wenn jemand süchtig nach Alkohol ist, wenn jemand seine Sorgen und Nöte im Alkohol ertränkt und dann nicht mehr von der Flasche los kommt."

Ihr wisst gar nichts!

Könnt ihr Alkoholismus einen Namen gegen?

Bei mir heißt Alkoholismus "Mücke". So wird mein Lieblingsonkel, der Bruder meiner Mutter, von allen genannt. Als Kind habe ich ihn niemals mit "Onkel Manfred" angeredet, immer nur "Mücke". Mücke ist einige Jahre jünger als meine Mutter, wieviel genau, habe ich vergessen, ich denke es sind um die zehn Jahre. Wie Mücke zu diesem Spitzname gekommen ist, weiß ich auch nicht so genau, wahrscheinlich weil er als Baby und Kind klein und schmächtig war.

Wenn ich an Mücke denkt, fällt mir immer dieselbe Geschichte ein. Ich ging noch zur Grundschule. Ich hatte damals einen Freund, der Michael hieß und ein rotes Rennrad fuhr. Einmal versteckte Mücke zusammen mit einem Angestellten meiner Großeltern das Rennrad auf einem Flachdach, das zu dem Hotel meiner Großeltern gehörte. Als Michael bemerkte, dass sein Rad verschwunden war, taten Mücke und der Angestellten als wüssten sie von nichts, sie verarschten Michael eine Weile, flunkerten ihn an und ließen ihn nach seinem Rad suchen. Irgendwann entdeckte Michael das Rad auf dem Dach, er musste es selbst herunterholen, während Mücke und der Angestellte sich wegen des gelungenen Streichs amüsierten. An solchen Streichen und Flunkereien hatte Mücke seine Freude.

Diese Erinnerung ist kostbar, denn von dem Menschen, der einmal Mücke war ist nicht viel übrig geblieben. Als ich heute mit meiner Mutter telefonierte, fragte ich mich das erste Mal, ob er überhaupt noch ein Mensch ist, und erschrank deswegen.

Mein Onkel säuft seit fünfzehn Jahren. Schon vor seinem ersten Zusammenbruch ahnte ich es, verstand es aber nicht oder wollte es nicht wahrhaben - wie alle in unserer Familie. Ich sah wie er sich ein Bier zapfte und dabei am ganzen Körper zitterte. Nach seinem ersten Zusammenbruch, das war vor ungefähr fünfzehn Jahren kam er für einige Wochen in eine Klinik für Suchtkranke. Anfangs hofften wir, er würde vom Alkohol loskommen. Einige Jahre soff er vor sich hin, die Ehe ging in Brüche. Viele aus meiner Familie haben mit ihm gesprochen, versucht ihn zur Vernunft zu bringen, glaubten sie könnten es schaffen. Selbst ich dachte das eine Zeit lang, dass ich ihn mir mal "zur Brust nehmen müsste" (ausgerechnet ich!). Es hat lange gedauert, bis ich begriff, das ich koabhängig war.

Aber eigentlich wollte ich das alles gar nicht erzählen, sondern dass, was meine Mutter mir heute den Tränen nah am Telefon erzählte.

Vor eineinhalb Jahren bekam mein Onkel Zungenkrebs. Letztes Jahr im Mai wurden ihm Teile der Zunge weggeschnitten. Seitdem kann er kaum sprechen und schlucken. Er hat einen Eingang für künstliche Ernährung. Seit einem halben Jahr säuft er wieder. Er steigt durch Fenster in die Kneipe meines Großvaters ein, klettert über Schränke, die er dabei fast aus den Wänden reißt, um irgendwie an Alkohol zu kommen. Ich glaube, er ist vor Jahren dabei einmal durch ein Glasdach gestürzt und hat sich dabei fast die Pulsadern aufgeschnitten.

Vor kurzem brachte meine Mutter meinen Onkel ins Krankenhaus, weil er wieder einen totalen körperlichen Zusammenbruch hatte. Während er auf einer Trage lag, warteten sie auf einen Arzt. Das erzählte meine Mutter heute am Telefon, ihre Worte, so gut ich die erinnern kann:

"Dann kam die Ärztin, eine Polin war das, ...

Die fragte ihn: 'Wie lange trinken Sie schon?'

Er hob fünf Finger.

'Wochen', fragt sie, er nickte.

'Nein', sagte ich, 'seit fünf Monaten, säuft der wieder.'

'Was trinken Sie?', fragte die Ärztin.

'Bier aus Eimern und Steinjäger', sagte ich.

Dann fragte die Ärztin: 'Wie trinken Sie?'

Er sah die Ärztin an, ich glaube er verstand sie gar nicht mehr. Sein Hemd war besudelt, fleckig. ... Er trinkt den Alkohol nicht, er kippt ihn sich über den Schlauch, mit dem er sich künstlich ernähren kann in sich hinein. Als ich das der Ärztin erzählte, wär' die fast ausgerastet."

Das ist Alkoholismus!

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