Liebe Leserin, lieber Leser

ich grabe in meinem Bergwerk nach Texten und finde: Nuggets, Kristalle, Edelsteine und viel zu oft Katzengold. An den Fundstücken klebt Schlamm. Sie müssen gewaschen und poliert werden. Das alles mache ich hier nicht.

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Seit Jahren gibt es eine Weisheit unter Werbestrategen:...
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sarah.tegtmeier - 1. Mär, 22:25

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5
Apr
2017

Das Streben nach Angst

Seit Jahren gibt es eine Weisheit unter Werbestrategen: Sex
sells! Egal wie verrückt die Botschaft, egal wie
unausgereift oder fehlerhaft das Produkt ist, egal ob ein
bestimmtes Nahrungsmittel nachweislich der Gesundheit
schadet, mit Sex kann man alles verkaufen. Wenn eine Firma
etwas an den Mann bringen will, ist sie daher gut beraten
eine möglichst vollbusige Schönheit in ihren Werbespots
auftreten zu lassen. Sind dagegen Frauen die Zielgruppe,
macht sich ein muskulöser durchtrainierter Blondling mit
blanken Oberkörper recht gut.

Wenn sich der eingangs zitierte Slogan überwiegend an die
Werbestrategen richtet - also an diejenigen Akteure eines
Produktions- und Vermarktungsprozesses, die an dessem Ende
stehen - dann gibt es aber auch einen Rat an jene, die am
Beginn dieser Prozesskette stehen, an jene also, die über
reichlich Eigenkapital oder beste Kontakte zu
Risikokapitalgebern verfügen: die Gründer neuer Unternehmen,
an diejenigen, die nicht länger abhängig beschäftigt sein
sondern sich in das Wagnis der Selbständigkeit stürzen
wollen. Diese eine Weisheit zielt nicht darauf ab, wie ein
neues Produkt geplant werden muss, um ein erfolgreiches
Unternehmen zu gründen. Sie gibt keine Ratschläge, wie man
die Strömungen in einer Gesellschaft am besten analysiert, um
herauszufinden was der nächste Hype, das nächste große Ding
sein könnte, das man auf keinen Fall verpassen darf, wenn man
sich in die Reihe visionärer Unternehmensgründer einreihen
will. Die Weisheit benennt nur genau eine Zutat, einen
essentiellen Bestandteil für ein neues Produkt, der allein
dafür sorgt, dass das Produkt ein Verkaufsschlager wird. Wenn
ein Produkt über diesen einen Bestandteil verfügt, kann man
sich jedwede Vermarktungsstrategie sparen - das Produkt
verkauft sich praktisch von selbst. Diese eine Zutat ist:
Angst.

Wenn es einem Chemiker gelänge, Angst in ihrer
Reinform zu synthetisieren, wenn er jedwede Verunreinigung
durch Hoffnung oder Gewissensbisse herausfiltern könnte, er
hätte die Formel für den größten wirtschaftlich Erfolg aller
Zeiten gefunden. Er müßte nur noch eine Verfahrenstechnikerin
finden, die einen Produktionsprozess entwirft, um seinen
neuen Wunderstoff in ausreichendem Umfang herzustellen. Das
Unternehmen, mit dem er sein neues Produkt verkauft, müsste
sich keine Gedanke um die Zielgruppe machen. Es wäre keine
verlockende Verpackung nötig, wahrscheinlich wäre die sogar
eher hinderlich. Angst verkauft sich am besten in ihrer
Reinform. Er könnte jeden Preis dafür verlangen. 1 Cent,
einen Euro, 1 Million Euro, zehntausend Barren in Gold gepresstes
Latinum. Die Währung des Preises spielte keine Rolle. Jeder
würde sein gesamtes Leben dafür verschwenden, um den Preis
dafür aufbringen zu können. Man könnte Angst sogar verschenken, die
Abnehmer würden allein schon aus reiner Dankbarkeit für ein
paar Krumen Angst freiwillig Geld dafür geben.

Für ein bisschen Angst sind wir bereit jeden Preis zu zahlen.
Für Angst geben wir alles her: Unsere Freiheit und
demokratischen Grundwerte. Wenn irgendjemand ein Päckchen
Angst vor unserem Bewusstsein ablegt, fahren wir unsere
Firewall herunter und deaktivieren unseren Virenscanner. Wir
saugen die Angst auf wie ein Verdurstender einen Tropfen
Wasser in der Wüste. Wir wählen Volksverhetzer und
narzisstische Machos. Wir liken und twittern Fakenews und
plappern alternative Fakten nach. Wir schlendern nicht mehr
spät abends allein durch dunkle Gassen, wir meiden größere
Menschenansammlungen, wir sagen lange geplante Feste und
Sportveranstaltungen ab. Wer anders ist als wir, den sperren
wir ein oder verjagen ihn aus unserem Land: Weil er eine
andere Sprachen spricht, seine Haut dunkler oder röter ist
als unsere, weil sie ein Kopftuch trägt oder in fremden Riten
ihrem Gott huldigt, weil sie anders lieben, weil sie vor
Krieg, Verfolgung oder wirtschaftlicher Not flüchten. Damit
wir das alles vor uns selbst rechtfertigen können, brauchen
wir unsere Angst. Wir streben niemals nach Glück sondern
immer nur nach Angst.

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